#19. Türchen

von | 19.12.2015 | #litkalender, Kreativlabor

Lady Lulla und das Land in meiner Wand

Lady Lulla und das Land in meiner Wand

In den Schneenächten um die Weihnachtszeit herum, wenn Luna ihr Licht auf meinen Wandspiegel wirft, erscheint am Mauerwerk gegenüber, zwischen Kommode und Zimmerpalme, für Minuten ein Abglanz, der an eine Tür erinnert.
Eines Nachts stellte ich zwischen Fenster und Spiegel eine Orchidee, die mir den Schatten einer Klinke warf. Und so ging ich und öffnete die Pforte, sah nach, und fand in meiner Wand ein Jenseits.
Hinter der Tür befand sich das Wiesenland mit seinen sanften Hügeln und dem See Herbeus, der nicht größer war als ein Gartenteich, und in dem der Fisch Iubar wohnte. Und am Wasser, unter einer jungen Birke, saß Lady Lulla, umklammerte ihre Knie und sang traurige Lieder.

Ich kannte die Lady gut, denn sie war ein Teil von mir. Lady Lulla sang schön und dachte gern mit dem Bauch; sie mochte es, nackt in der Wiese zu liegen und dabei die Schenkel fest zusammenzudrücken. Sie liebte es, über die Liebe zu sprechen und sie mochte den Duft von frisch geschlagenem Holz, hatte eine Schwäche für Kaschmir auf der Haut und mochte das Gefühl, Bananen mit den Händen zu zermatschen.

Lady Lulla auf der Wiese. Sie und ich allein am See. Die Sonne lächelte und Lady Lulla lächelte zurück.
Im Traum ist alles erlaubt, dachte ich, und wir spaßten gemeinsam über Albernheiten. Dann ging ich zu ihr und wollte sie berühren, ihr Haar, ihre Lippen, aber Lady Lulla sprang auf und lief lachend davon; neckte mich, foppte mich.

Himmel, was war ich verliebt! Lady Lulla hopste ins Wasser und ich ihr nach. Ich mochte ein klein wenig mit ihr schwimmen. Ich wollte etwas in ihr schwimmen; aber das wünschte sie nicht. Sie spottete und zog mich aus und wollte ja nur spielen, scherzen. Aber ich musste sie unbedingt haben, wollte sie küssen und drücken und nimmer loslassen.

Aus meiner Zuneigung wurde Besessenheit, aus meiner Zunge eine Lanze und die gelbe Gier stieg mir in die Augen. Aus ihrem Lachen wurde Weinen und sie wollte weg, schlug nach mir, trat nach mir. Aber ich konnte nicht zulassen, dass sie geht und mich allein lässt, und nach einer Reihe von Blitzen in meinem Schädel und Erschütterungen in meinen Lenden, nach derben Stößen in meinem Herzen und Donnerschlägen in meinem Magen, sah ich Lady Lulla langsam untergehen. Sie sank hinab zum Grund des Sees und verschwand unter einem Teppich von Wasserpest.

Der Fisch Iubar hatte ein widerliches Schiefergrau angenommen, trieb auf der Seite und stank. Die Wiesenhügel blähten sich plötzlich auf, spuckten schwarze Sporen aus und sackten anschließend faul in sich zusammen.

In manchen Mondnächten um die Adventszeit herum, wenn ich die Fensterläden meines Schlafzimmers fest verschlossen habe, höre ich ein Kratzen in der Wand; ein Kratzen und ein Wimmern. Ich möchte Lady Lulla nie, nie wiedersehen.

Text und Bild: Marko Stiebritz

Kurzvita:

Geboren in den Siebzigern in Jena, Thüringen. 1987 Ausreise mit den Eltern nach Niederbayern. Mein Steckenpferd ist natürlich das Schreiben. Ich schreibe gern deutlich überspitzt und verspritze dabei gern das eine oder andere Gift, da das meinem Naturell entspricht und ich meine, dass dies der zeitgenössischen Literatur zuträglich ist.

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Bisher das beste was ich in den 18 Toren davor Gelesen hab.
    Hat was^^ Obwohl der Schreiber einen (leichten)“Knall“ hat.

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    • Avatar

      Wo wären wir denn ohne die Künstler mit dem leichtem Knall?

      Mir gefällt die Geschichte ebenfalls ausnehmend gut.

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