10 Fragen an Prosathek

von | 14.11.2017 | 10 Fragen an ..., Buchpranger, Stadtgespräch

Einer unserer Leitsätze ist „Wir könnten auch ohne einander – wollen aber nicht.“ Und genau so sehe ich das. Als Gruppe sind wir einfach stärker.

Ein Mal Literatur, bitte! Hinter der Prosathek steht eine Gruppe junger Autoren, die Leser und Leserinnen regelmäßig mit Literatur versorgt. Vergangenes Jahr ist deren Anthologie „Nichts Dramatisches“ erschienen. Zeichensetzerin Alexa und Worteweberin Annika haben 10 Fragen formuliert, denen sich Annika Kemmeter, Arina Molchan, Lydia Wünsch, Victoria B. und Verena Ullmann gestellt haben.

1. Eure Anthologie heißt „Nichts Dramatisches“, trotzdem passiert ja so einiges Dramatisches darin. Warum dieser Titel?

Annika Kemmeter: Den Titel „Nichts Dramatisches“ haben wir aus vielen Gründen gewählt. Zum einen, ja, ist es ironisch gemeint, denn tatsächlich sind die meisten Geschichten ziemlich dramatisch. „Nichts Dramatisches“ ist aber auch ein Zitat aus unserer Inspirationsquelle, dem Drama „Enigma“ von Éric-Emmanuel Schmitt. Es ist der neunte Satz aus dem Drama. Zwischen die ersten neun Sätze aus dem Drama haben wir jeweils unsere Geschichten eingebettet. Und schließlich ist es im gattungstheoretischen Sinne natürlich eine einfache Feststellung: In den Händen halten Sie nichts Dramatisches, sondern reine Prosa.

Arina Molchan: Natürlich soll es auch das literarische Trio vervollständigen: PROSAthek – wir können auch LYRIK, aber (bisher) eben nichts DRAMAtisches.

2. Cover und Klappentext signalisieren bereits, dass die Geschichten miteinander „verkettet“ sind, und dennoch können alle für sich stehen. Könnte man diese Verkettung auch auf die Autoren projizieren?

Arina Molchan: Auf jeden Fall!

Annika Kemmeter: Wir sind eigenständige Autoren, mit eigenen Projekten und vor allem ganz unterschiedlichen Stilen. Als Autorengruppe sehen wir uns aber weniger als eine Kette, eher als ein Satz Gehirnzellen: Alle Mitglieder sind miteinander verknüpft. Ideen, Texte und Projektvorschläge werden von allen Seiten in die Manege geworfen, und dann auch von allen Seiten kommentiert, gelobt und kritisiert und vorangetrieben.

Lydia Wünsch: Einer unserer Leitsätze ist „Wir könnten auch ohne einander – wollen aber nicht.“ Und genau so sehe ich das. Als Gruppe sind wir einfach stärker. Wir unterstützen uns gegenseitig, kritisieren unsere Texte, damit sie besser werden und wir uns als Schriftsteller weiterentwickeln. Ich, für meinen Teil, könnte mir das Autorendasein ohne den Austausch mit Gleichgesinnten gar nicht vorstellen. Es macht Spaß, gemeinsam Projekte zu entwickeln und sich gegenseitig zu pushen. Wir fahren auch zusammen auf Lesungen in andere Städte und haben auf solchen Wochenendtrips immer viel Spaß. Das gehört für mich auch dazu!

3. Die ersten Sätze eurer Anthologie stammen aus Éric-Emmanuel Schmitts Drama „Enigma“ – hat es eine besondere Bedeutung für euch?

Annika Kemmeter: Wir wollten für unsere aktuelle Kurzgeschichtensammlung nicht einfach unverbundene Geschichten nebeneinanderstellen. Wir wollten eine etwas außergewöhnlichere Verknüpfung, die gleichzeitig eine Inspirationsquelle sein sollte. So kamen wir darauf, eigentlich zusammenhängende Sätze aus einem bestehenden Text auseinanderzureißen und die Lücken mit Kurzgeschichten zu füllen. Das Anspruchsvolle daran war nicht, dass der Anfangssatz vorgegeben war, sondern vor allem, dass man auf einen Endsatz hinarbeiten musste, der vielleicht gar nicht so gut als Pointe funktioniert.

Arina Molchan: Da wir die Idee hatten, einem anderen Werk zwischen die Zeilen zu schreiben, kristallisierte es sich recht schnell heraus, dass wir dazu am besten ein Drama hernehmen sollten, da hier die Einschränkungen bezüglich Setting, Zeit und Personen kleiner wären als in der Epik. Und um sprachlich freier zu sein, musste es etwas Zeitgenössisches sein. So kam es zu „Enigma“. Dass das Drama bei einem von uns im Regal steht, deutet aber natürlich auch darauf, dass es für jemanden bedeutsam ist.

4. Seid ihr auf dem Weg von der Idee bis zur Veröffentlichung der Anthologie auf Stolpersteine gestoßen?

Annika Kemmeter: Eigentlich lief es überraschend reibungslos. Man muss natürlich diszipliniert sein und sich an die Deadlines halten. Aber von der Idee über die Textarbeit, das Buchcover und die Veröffentlichung verlief der Weg eigentlich geradewegs und ohne große Stolpersteine.

Arina Molchan: Doch, meiner Meinung nach gab es Stolpersteine! Alleine die Herausforderung, eine Geschichte mit einem vorgegebenen Satz zu starten und dann auch noch sinnvoll mit einem vorgegebenen Satz zu enden, war groß. Manche hatten „Glück“ mit ihren Sätzen, andere weniger. Und dann natürlich die sehr optimistisch selbstgesetzten Deadlines …

Lydia Wünsch: Eine große Herausforderung war auch die Covergestaltung. Arina hat eine Menge schöner Cover für unser Buch gestaltet und dann hieß es, sich zu entscheiden. Gar nicht so leicht, in so einer großen Gruppe. Darum werden bei uns solche Sachen ganz demokratisch mit einer 2/3-Mehrheit entschieden. Zwei Tage lang ging die Abstimmung, bis wir uns für das jetzige Cover entschieden hatten. Und wir sind alle sehr glücklich damit. Mir gefällt besonders der Kontrast zwischen der schweren Eisenkette und dem hellen Pink. So ist es nicht zu düster und deutet dennoch an, dass in dem Buch einiges passieren wird.

Victoria B.: Natürlich ist es nicht immer einfach, alle Meinungen gleichermaßen umzusetzen. Aber an genau solchen Dingen wachsen wir, als Gruppe und auch individuell.

5. Neun Autoren setzen sich zusammen und diskutieren bis spät in die Nacht über den Inhalt der Anthologie – oder wie kann man sich eure Zusammenarbeit vorstellen?

Arina Molchan: Da einige von uns etwas weiter weg wohnen, kommunizieren wir sehr viel über Messengerdienste und Mails miteinander. Die Aufteilung der Sätze fand auf jeden Fall per Mail statt und dann hatte jeder Zeit, sich etwas auszudenken. Wir waren selbst gespannt, was bei diesem Experiment herauskommt, weshalb wir bis zur ersten Textfassung einer Geschichte niemandem verrieten, was wir uns ausgedacht hatten. Über die Texte diskutierten wir dann auf unserem internen Blog, der unsere eigentliche Arbeitsplattform, unsere Werkstatt, bildet. Und dann gab es noch zwei Wochenenden, an denen wir uns zusammengesetzt haben und bis spät in die Nacht über die Texte diskutiert haben.

Lydia Wünsch: Darüber hinaus treffen wir Münchner Mitglieder uns aber auch zu regelmäßigen Stammtischen und vier Mal im Jahr halten wir einen Workshop ab. Dieser geht meist über das ganze Wochenende und findet immer bei einem der Mitglieder zu Hause statt. Dafür reisen auch die Mitglieder an, die in einer anderen Stadt wohnen. Es ist meiner Meinung nach wichtig, dass der Kontakt nicht nur virtuell stattfindet. Unsere kreativsten Ideen haben wir bei angeregten Diskussionen oder auch bei Schreibexperimenten.

6. Was ist die „Prosathek“ eigentlich? Und was hat es mit diesem „springenden Punkt“ auf sich?

Annika Kemmeter: Die Prosathek ist eine Autorengruppe, die einen Literaturblog betreibt, www.prosathek.de, die regelmäßig Anthologien herausgibt und Lesungen organisiert. Der Name ist eine freie Assoziation zwischen Prosa und Theke – nur, dass über unseren „Ladentisch“ Literatur geht.
Der springende Punkt ist der rote Fleck in unserem Logo. Für alle von uns hat er eine unterschiedliche Bedeutung: vom Tintenfleck über das Satzzeichen, das Herz, bis zum Blutfleck, der bleibt, wenn man gerade eine Stechmücke an die Wand geklatscht hat. Er haucht unserem Logo Leben ein und inspiriert zu Interpretationen.

Arina Molchan: Der hüpft halt. 😉 Ursprünglich war der springende Punkt eine zerquetschte Stechmücke – aber von dieser Interpretation sind wir irgendwann weggekommen. Das hatte uns zu wenig mit Interpunktion und Metaebenen zu tun.

Lydia Wünsch: Der Ausdruck „springender Punkt“ geht angeblich auf Aristoteles zurück. Dieser erforschte die embryonale Entwicklung von Hühnern und fand dabei einen pochenden roten Punkt im befruchteten Ei, der sich als das Herz herausstellte. Das ist für mich die schönste Interpretation. Denn Literatur ist für uns alle eine Herzensangelegenheit, die wir mit Leidenschaft verfolgen. Die Literatur ist unser pochendes Herz sozusagen. Die zerquetschte Stechmücke finde ich aber auch gut. 😉

7. Sind Lesungen geplant? Wann und wo kann man euren Geschichten lauschen?

Annika Kemmeter: Wir haben unsere Anthologie „Nichts Dramatisches“ auf Lesungen in der Seidl-Villa in München und im Hugendubel in Mainz vorgestellt. Zu diesem Buch sind vorerst keine weiteren Lesungen geplant, weil wir mitten in den Vorbereitungen für unser nächstes Projekt stecken. Und damit werden wir dann auch wieder Lesungen veranstalten. Infos zu unseren Lesungen gibt es auf www.prosathek.de/aktuelles und in den sozialen Netzwerken.

Victoria B.: Die junge Münchner Literaturszene entwickelt sich erst seit Kurzem und definiert sich gerade im Moment – wir dürfen sozusagen am Netzwerk mitwirken und mit Konzepten und Locations experimentieren. Also, falls es Interessierte gibt, sind wir offen für alle möglichen künstlerischen Fusionierungen und Räumlichkeiten! Es sind im Frühjahr auch Lesungen mit musikalischer Untermalung in Planung. Dazu gibt es dann bald auch Konkretes.

8. Schaut man sich eure Vitas an, fällt auf, wie vielfältig eure Interessen sind. Kulturelle Tätigkeiten und Studium sind wiederkehrende Bereiche. Inwieweit haben diese Einfluss auf euer Schreiben genommen?

Annika Kemmeter: Auch München ist ein wiederkehrendes Element in unseren Lebensläufen. Ein Ort, mit dem wir alle verwurzelt sind, einfach deshalb, weil wir uns in einem Kurs für Kreatives Schreiben an der Ludwig-Maximilians-Universität München kennengelernt haben. Von dort aus haben wir uns dann verselbstständigt und eine eigene Autorengruppe gegründet. Daher sind viele Geschichten in München verortet, auch wenn gar nicht mehr alle in München leben. Wenn man nach Stoff für seine Geschichten gräbt, greift man mitunter auf eigene Erfahrungen zurück, daher finden Studium, unser Interesse an Kultur und auch die Verortung in München hin und wieder ihren Weg in unsere Texte.

Arina Molchan: Vielleicht könnte man sagen, dass das Studium unsere Texte direkt beeinflusst. Weil sich immer wieder Aspekte, Ideen, Gedanken aus dem universitären Kontext in die Texte einschleichen. Die Uni ist einfach ein Ort mit einem hohen Potenzial für neue Gedankengänge …

Lydia Wünsch: Viele von uns haben Literatur und Sprachen studiert. Da liegt es nahe, sich auch selbst im Schreiben zu versuchen. Wenn man tagtäglich von Büchern umgeben ist und sie sogar zu seinem Studieninhalt gemacht hat, kommt die Frage auf, wie man da nicht auch selbst schreiben will?

9. Mehr Geschichten kann man auf eurer Website entdecken. Wie oft erscheinen die Texte und verfolgt ihr hierbei ein bestimmtes Ziel?

Annika Kemmeter: Jeden Freitag um 14 Uhr erscheint ein neuer, unveröffentlichter Text auf unserem Literaturblog. Diese sogenannten Freitagstexte helfen uns Autoren, das regelmäßige Schreiben in den Alltag einzubetten. Jeder Freitagstext wird aber auch erst mal von den anderen Autoren begutachtet und dann häufig noch umgearbeitet. Nur die „guten“ Texte werden veröffentlicht. Dadurch verbessern wir uns als Autoren auch mit jedem Text. Freitagstexte sind oft kürzere Geschichten, hin und wieder auch Lyrik, die die Follower unseres Blogs gut zwischendurch lesen können. Sie geben Denkanstöße, erzählen Lustiges, Spannendes, Trauriges – die ganze Bandbreite.

Arina Molchan: Die Texte (Prosa und manchmal auch Lyrik) sind meistens recht kurz – so, dass man sie auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn lesen könnte. Einerseits hilft es uns, regelmäßig zu schreiben und an unseren Werken zu arbeiten; neue, kleine Ideen auszuprobieren (die beispielsweise nicht genug Stoff für einen Roman geben oder für die man nicht so viel Sitzfleisch beweisen muss); und um letztendlich auch eine Mappe an Texten zu haben, die vorzeigbar sind, an denen man schon geschliffen hat.

10. Auch ihr müsst euch unserer bücherstädtischen Frage stellen: Wenn ihr ein Buch wärt, welches wäre es?

Verena Ullmann: An diesem Buch wird gerade noch geschrieben: Es ist unser erster gemeinsamer Roman, der nächstes Jahr erscheinen wird und in dem wir alle auf die ein oder andere Weise auftauchen.

Lydia Wünsch: Finde ich eine schöne Antwort. Für mich ist es auch immer die Geschichte, an der ich gerade arbeite. Denn da steckt dann meine ganze Seele drin!

Annika Kemmeter: Herr der Ringe – Die Gefährten.

Victoria B.: (lacht) Ich glaube, wir wären doch eher ein Bücherregal!

Bild: Prosathek

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