Wildes, fremdes, zerrissenes Afrika

von | 29.03.2016 | Belletristik, Buchpranger

Wuoth Ogik ist „der Ort, an dem die Reise endet“. Aber was für eine Reise ist das? Satzhüterin Pia ist den Weg durch den wuchtigen 500 Seiten-Debütroman der Kenianerin Yvonne Adhiambo Owuor angetreten und zeigt sich beeindruckt. Beeindruckt von einer Geschichte, die vielleicht nicht sonderlich komplex und letztendlich eigentlich nur traurig ist, aber vor sprachlicher Bildgewalt nur so strotzt.

der-ort-an-dem-die-reise-endetEine zerrissene Familie

Wir befinden uns im Jahr 2007 in Kenia, als ein junger Mann in den Straßen Nairobis erschossen wird. Der Tod des Studenten Moses Ebewesit Odidi Oganda zwingt seine Schwester Arabel Ajany Oganda aus Brasilien zurück nach Kenia zu kommen. Gemeinsam mit ihrem Vater überführen sie den Leichnam des Bruders und Sohnes Odidi zurück auf die Familienfarm in Wuoth Ogik, wo schon die Mutter auf sie wartet. Diese Heimkehr ist schwer – für den Vater, für die Mutter, für die Schwester. Schmerz, Trauer, Wut und Verzweiflung lassen die Mutter Akai in die Wildnis entfliehen. Der Vater Nyipir muss sich einer brutalen Wahrheit stellen und die Schwester? Ajany hält den Tod ihres geliebten Bruders ebenfalls kaum aus und begibt sich auf die Suche nach Odidis Spuren durch sein kurzes Leben.

Ein zerrissenes Land

Es ist nicht nur die Geschichte der Familie Oganda, sondern auch die eines zerrissenen Kontinents. Afrika ist geprägt von kolonialer Gewaltherrschaft, blutigen Kleinkriegen nach der erreichten Unabhängigkeit und nicht zuletzt ist es überfüllt mit Volksglauben und Ritualen, die das Leben der Menschen überwiegend bestimmen. Die Autorin Owuor arbeitet viel mit der Geschichte Kenias, lässt sie hier und dort mit Rückblicken und Einblicken in die Erzählung einfließen. Und trotzdem wird den (europäischen, möglicherweise weißen) Leser:innen dieses fremde, wilde, zerrissene Land nicht vertrauter. Bis zum Schluss überwiegt eine fremde Faszination.

Eine zerrissene Geschichte

Die Geschichte wird nur häppchenweise serviert, es wird mit der Zeit gespielt und von Ort zu Ort gesprungen. Eben befindet man sich noch im gegenwärtigen Wuoth Ogik, dann springt die Geschichte Jahre zurück und Odidi erkundet mit Ajany eine Höhle, zurück in die Gegenwart, aber zu einem ganz anderen Ort oder einer ganz anderen Person. Auch die Handlung wirkt dadurch zerrissen und nicht selten fällt es schwer, bei den Sprüngen mitzukommen und nah an der Erzählung zu bleiben. Über viele Seiten hinweg braucht es einen Moment der Orientierung, wenn es wieder einen Wechsel zum neu beginnenden Absatz oder Kapitel gibt. Was bleibt, ist die Sprache…

Eine kraftvolle Sprache

Owuor wartet in „Der Ort, an dem die Reise endet“ mit einer beeindruckenden Sprachgewalt auf. Die Autorin, bisher nur für ihre Kurzgeschichten bekannt, bleibt besonders zu Anfang in einem Stil, der für kurze, knackige Geschichten geeigneter scheint, als für einen 500 Seiten Wälzer. Über die ersten 100 Seiten trägt die künstlerische Sprache mit ihrer Bildlichkeit, ihrem Tempo und ihrer Eigenwilligkeit über die schwer zu verfolgende Geschichte hinweg. Danach wird der Text fließender, die Sprache gewohnter und die Neugierde, der nun besser zu erschließenden Geschichte folgen zu wollen, übernimmt. Und manchmal fragt man sich doch, ob die scheinbare Zusammenhanglosigkeit mancher Absätze wahlloser Einschub oder doch (schwer erkennbares) Genie ist. Vielleicht ergeben sich manche Zusammenhänge auch erst beim zweiten Lesen. Oder beim dritten.

Fazit

Die sprachgewaltige Stärke der 1968 geborenen Owuor ist zugleich auch ihre Schwäche. Der eigenwillige Stil der Autorin dürfte über Kurzgeschichten hinweg schlicht brillant wirken. Bei einem Umfang wie bei diesem Roman braucht es jedoch einen konzentrierten Leser, der bereit ist, sich nicht nur in die Geschichte fallen zu lassen, sondern stattdessen gedanklich mitzuarbeiten. Dann jedoch wird er mit einem faszinierend erzählten Einblick in eine kenianische Geschichte belohnt.

Der Ort, an dem die Reise endet. Yvonne Adhiambo Owuor. Übersetzung: Simone Jakob. Dumont. 2016.

 

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Auch wenn einige Sätze zu wuchtig sind, und ihre Erfahrung mehr auf Kurzgeschichten beruht, mag ich gerade die jüngeren afrikanischen Autorinnen. Kennengelernt habe ich die afrikanische Literatur, bei einem Fernkurs_Literatur.

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    • Avatar

      @Wortsonate: Wenn Du möchtest, empfiehl uns gern Werke von den erwähnten jüngeren afrikanischen Autorinnen!

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