Wenn Unterhaltung auf Wissenschaft trifft: Serien auf dem Prüfstand

von | 03.03.2017 | Buchpranger, Sach- und Fachbücher

Wer hat nicht schon mal davon geträumt, in die Welt seiner Lieblingsserie einzutauchen und an den Erlebnissen und Abenteuern des Serienhelden teilzuhaben? Dieser Traum bleibt in der Regel immer oberflächlich, schließlich sind die Geschehnisse in Serien stets überzeichnet, fiktiv und in der Realität überhaupt nicht vorstellbar – oder etwa doch? – Von Bücherstädter Florian

Wie viel Realismus und wie viel Fiktion steckt in allseits beliebten Fernsehserien wie „Game of Thrones“ oder „Breaking Bad“? Diese Frage stellte sich auch der italienische Journalist Andrea Gentile, der sein akademisches Know-How nutzt, um die beliebtesten Fernsehserien genauer unter die Lupe zu nehmen – aus der Perspektive eines Wissenschaftlers.

„Kann mein Chemielehrer Crystal Meth herstellen?“ lautet der Titel des Buches und referiert dabei natürlich auf die preisgekrönte Serie „Breaking Bad“, die von dem am Krebs erkrankten Walter White handelt. Walter entschließt sich, sein trostloses Lehrerdasein an den Nagel zu hängen und ein Drogen-Imperium zu errichten, um seiner Familie nach seinem Ableben eine gute finanzielle Rücklage hinterlassen zu können. Der Titel ist gleichzeitig eine der im Werk thematisierten Fragen.

Serien aller Art und wissenschaftliche Vielfalt

Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis genügt bereits, um festzustellen, dass sich Gentile einem breiten Publikum zuwendet. In den insgesamt dreizehn Kapiteln widmet er sich Fantasy-Serien (Game of Thrones, True Blood) gleichermaßen wie Dramaserien (Breaking Bad) und selbstverständlich Science-Fiction-Serien (Star Trek, Doctor Who). Mit „The Big Bang Theory“ hat es auch eine Sitcom in den Fokus des Autors geschafft. Was an der Stelle wenig überrascht, ist „The Big Bang Theory“ doch geradezu prädestiniert dafür, auf wissenschaftliche Exaktheit hin überprüft zu werden. Durch den breiten Fokus sollte jeder Serienfan auf seine Kosten kommen.

Gentile deckt mit seinen Überlegungen ein weites Spektrum an naturwissenschaftlichen Disziplinen ab. Von der Neurobiologie („Was spielt sich im Gehirn eines Zombies ab?“) über die Gesetze der Physik („Kann man durch die Zeit reisen?“) und fremden Lebensformen („Werden wir jemals Außerirdischen begegnen?“) bis hin zur Kosmologie (der Urknall). Zur Auflockerung gibt es zum Ende eines jeden Kapitels zehn teils amüsante, teils faszinierende Fakten über die jeweilige Serie. Ein netter Einfall.

Einfach, informativ und fachlich überzeugend

Eine solche Auflockerung wäre nicht einmal notwendig gewesen. Gentile gelingt es, schwierige und komplexe Themen durch bildhafte Beispiele und einiger Anekdoten simpel darzustellen, sodass alle Hobbywissenschaftler und jene, die es mal werden wollen, die Zusammenhänge verstehen können. Gleichzeitig geht er nie tief ins Detail und schneidet viele Themen nur an, weshalb der gemeine „Wissenschaftsnerd“ etwas enttäuscht sein könnte. Die Kapitel sind folglich kurz gehalten und wissenschaftliche Fachtermini sind zwar vorhanden, werden aber ausführlich erklärt. Einige Sätze sind unnötig verschachtelt, doch das ist zu verschmerzen. Fachlich ist das Buch jedenfalls makellos und stets auf dem neusten Stand der Forschung.

Gentiles Argumente sind durchdacht und nachvollziehbar. Häufig nimmt er Bezug auf die Forschungen berühmter Wissenschaftler wie Albert Einstein oder Werner Heisenberg und bietet damit Einblicke in die Forschungsgeschichte verschiedener Fachdisziplinen. Immer wieder bringt er dabei auch Theorien oder Modelle zur Sprache, die nicht jedem geläufig sind (beispielsweise die „Milankovic-Zyklen“). Damit schafft er neue Perspektiven und Sichtweisen auf die Sachverhalte und bietet dem Leser genug Input, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Gentile zieht seine Kenntnisse auch aus der experimentellen Wissenschaft. Etwa Gruppen von Mathematikern, die Modelle für die Ausbreitung einer Zombie-Epidemie entwickelten oder die sogenannten „MythBusters“, die unter anderem Szenen aus „Breaking Bad“ nachgestellt haben.

Nicht ganz ausgereift

Gentile hat dennoch ein bisschen Potenzial verschenkt. Denn so überzeugend das Werk auch ist: Man hätte es noch größer aufziehen können. Nur ein Bruchteil der wissenschaftlichen Phänomene aus den Serien werden tatsächlich behandelt, einige Aspekte, die Aufmerksamkeit verdient hätten, bleiben unerwähnt. Näher eingehen können hätte man unter anderem auf die Geräte und Maschinen, die in den Laboren oder im privaten Gebrauch der Nerds in „The Big Bang Theory“ zur Anwendung kommen, oder auf die mathematischen Formeln, die stets im Hintergrund auf den Whiteboards prangen. Ein weiterer Kritikpunkt: An einigen Stellen im Werk tauchen leider kleinere Spoiler auf, hier wäre die eine oder andere Warnung nützlich gewesen.

Bei „Kann mein Chemielehrer Crystal Meth herstellen?“ handelt es sich nichtsdestotrotz um ein interessantes und massentaugliches Wissenschaftsbuch, bei denen die Serien selber nicht im Vordergrund stehen, sondern vor allen Dingen als Inspiration herhalten – in dem Sinne, dass sie jeweils ein wissenschaftliches Fundament beanspruchen, auf dem ihre Realitäten aufgebaut sind. Fundamente, deren Authentizität auf die Probe gestellt wird. Es ist folglich nicht notwendig, jede einzelne Serie zu kennen. Der Leser benötigt für den Genuss des Werkes keinerlei wissenschaftlicher Vorkenntnisse – ein grundsätzliches Interesse an der Wissenschaft sollte aber schon gegeben sein.

Eines scheint zudem sicher: Mit den Erkenntnissen aus „Kann mein Chemielehrer Crystal Meth herstellen?“ kann man beim Small-Talk über Fernsehserien oder Wissenschaft ordentlich Eindruck schinden.

Kann mein Chemielehrer Crystal Meth herstellen? Andrea Gentile. Übersetzung: Johannes von Vacano. Atlantik. 2016.

Bücherstadt Magazin

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