Wenn der Postbote dreimal klingelt

von | 01.05.2016 | Kreativlabor

Ich besuche meine Familie am Wochenende (die etwas weiter weg wohnt), und vorausschauend wie ich bin, lasse ich mir auch gleich meine Bücherbestellung dorthin liefern, da ich unter meiner eigenen Adresse nicht erreichbar sein werde. Ich erwarte sehnsüchtig den zweiten Band einer Reihe, denn ich will schließlich nahtlos weiterlesen können.

Normalerweise kommt der Postbote so zwischen zwölf und eins bei meiner Mutter vorbei. Er ist immer pünktlich – man könnte fast schon von Tradition sprechen, wie es auf dem Dorf so üblich ist. So setze ich auch an diesem Tag auf seine Zuverlässigkeit, um meine Beute mit auf die Zugfahrt zurücknehmen zu können und auch bei meiner Familie auf dem Sofa schon etwas zu schmökern. Euphorisch warte ich auf das Klingeln, bereite mich seelisch darauf vor, meine Unterschrift zu setzen und dem Boten das Päckchen aus der Hand zu reißen.

Bei jedem Motorengeräusch, das ich in Nähe der Haustür vernehme, laufe ich zum Fenster und spähe auffällig unauffällig hinter der Gardine hervor. Mist, wieder nur die Nachbarn, die von ihrem Wochenendeinkauf nach Hause kommen. Nervös sitze ich auf dem Sofa. Vielleicht hätte ich mir die Bestellung doch lieber direkt zu mir ohne Umwege nach Hause schicken lassen sollen? Was, wenn mein genialer Plan nicht aufgehen sollte? Dann müsste ich bis zum nächsten Wochenendbesuch bei meiner Familie warten, bis ich meinen Schatz endlich mitnehmen könnte; vorbei und ausgeträumt; zerplatzt die Seifenblase mit dem Traum vom nahtlosen Übergang … Nein, das darf nicht sein, er wird schon kommen, denke ich mir, – ganz sicher! Zuversicht keimt in mir auf.

Da – wieder ein fahrendes Auto, und wieder laufe ich zum Fenster. Hmm, wohl doch nur eingebildet. Ganz ruhig, durchatmen, es ist ja erst eins.
Es wird zwei. Zweifel nagen an mir.
Es wird halb drei. Ich fange an zu schwitzen.
Es wird drei. Mein Herz hämmert.
Ich höre gnadenlos die Uhr: Tick tack tick tack.
Wie lange arbeiten Postboten an einem Samstag eigentlich?
Er wird mich doch nicht vergessen haben?
Vielleicht ist das Paket unterwegs verloren gegangen?
Weitere Horrorszenarien blitzen auf.
Ich logge mich im Fünfminutentakt auf meinem Mailaccount ein. Nein, jegliche Zweifel ausgeschlossen: Der Onlinebücherversand kündigt die Lieferung für heute an.
Wo bleibt er denn bloß?
Streikt die Post?
Tick tack tick tack.
Wieder am Fenster hinter der Gardine, jetzt laufe ich schon ohne jegliches Anzeichen dorthin. Bleib ruhig Kathrin, sage ich mir, in der Lieferungsbenachrichtigung von DHL hatte der kleine abgebildete Postbote das Paket doch schon in der Hand …
Tick tack tick tack.
Es wird vier. Verdammt nochmal, langsam will meine Verzweiflung in Wut umschlagen.
Da – meine Mama ruft, jetzt steht aber wirklich ein Fahrzeug auf unserer Auffahrt.
Ich rase vom Fenster über den Flur. Ich hüpfe auf der Stelle, beiße mir in die Faust, um mein Kreischen zu unterdrücken.
Ich platziere mich hinter der Haustür, meine Hand schwebt über der Klinke.
Tick tack tick tack. Wie lange braucht er denn um Himmels willen für die fünf Schritte?!
Es klingelt – endlich.
Ich warte und zähle langsam bis 10 – der Postbote soll schließlich nicht merken, dass ich meinen ganzen Tag mit Warten verbracht habe. Tzzz, das wäre ja lächerlich!

Ich atme tief durch und fokussiere mich. Betont lässig öffne ich die Tür, um ihn nicht noch ein viertes Mal klingeln zu lassen, und begrüße ihn mit einem noch cooleren Hallo. Dann setze ich meine Unterschrift auf das elektronische Dings und nehme ihm beherrscht das Päckchen ab – man könnte fast sagen: leidenschaftslos. Doch das ist alles nur Fassade. Souverän spiele ich meine Rolle. Tschüss, sage ich mit einem Lächeln und schließe gemächlich die Haustür.

Aaaaah, ich springe kurz auf der Stelle, wirble herum und renne dann mit dem Paket ins Wohnzimmer, wo ich den Pappkarton auseinanderfetze, um an das heilige Gut zu kommen. Ich schnappe mir eine Decke, schlage behutsam das Buch auf und fange an zu lesen.

Ach, ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!

Bücherstädterin Kathrin
Bild: CBS, „Old Mailbox“, piqs.de

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3 Kommentare

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    Sehr schön! Ja, das kenne ich auch, und die armen Postmenschen wissen gar nicht, warum ich so mysteriös grinse (ob die sich überhaupt noch wundern, was Leute so bestellen?). Und manchmal erwarte ich nicht mal Büchersendungen, sondern werde komplett überrascht. Man stelle sich meine Reaktion vor, wie ich verwirrt auf dem Unterschreibseldings unterschreibe, während ich begreife, dass das Paket, das nun im Flur an der Wand lehnt, Büchergröße hat.

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      Büchergröße ist immer super 😀 Mich würde auch mal die Sicht des Postboten interessieren 😉

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        Ich glaube fast, die Postbringmenschen wundern sich über gar nichts mehr, in Zeiten, in denem man so gut wie alles online bestellen kann xD
        Aber manchmal stelle ich mir vor, der Postbote würde sich vorstellen, ich hätte eine geheime Bibliothek, in der nur coole Menschen Mitglied werden dürfen.

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