Was haben Computerspiele mit Literatur zu tun?

von | 03.07.2016 | Spielstraße

Computerspiele und Literatur

Was haben Computerspiele mit Literatur zu tun? Um Antworten auf diese Frage zu finden, hat Seitenkünstler Aaron geforscht, studiert, gelesen und gespielt.

Am Computer spielen – nur was für gelangweilte Jugendliche?

Vor über 40 Jahren begann die Entwicklung des Computerspiels mit so simplen Programmen wie Pong. Heute ist es ein multimediales Leitmedium und steht in einigen Ländern in seiner kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung (E-)Buch und Film in nichts nach. Und obwohl in Deutschland das Durchschnittsalter von Computerspiel-Nutzern inzwischen bei 35 Jahren liegt, wird dieses Thema im kulturellen Hochdiskurs noch immer recht selten besprochen.
Die geringe gesellschaftliche Akzeptanz in der Öffentlichkeit liegt hierzulande unter anderem daran, dass nicht offen darüber kommuniziert wird. Viele Spieler tauschen sich nur mit anderen Spielern zu dem Thema aus und einige Nicht-Spieler wollen aufgrund von alten Vorurteilen nichts davon wissen. Computerspiele sind nicht einfach nur das Hobby von gelangweilten Jugendlichen, sondern ein Phänomen, über das aufgrund seiner wachsenden Bedeutung zu reden nötig ist.

Was hat das mit Literatur zu tun?

Zugegeben, diese Frage muss bei jedem Computerspiel einzeln entschieden werden, da es nicht das eine Computerspiel gibt. Gerade in den letzten Jahren werden von Autodidakten und kleinen Studios viele neuartige Spiele entwickelt, die mit innovativen Strategien neben den altbekannten und verpönten Genres glänzen. Und dies hat meistens mit Narration – und oft auch mit Sprache zu tun. Als „Game Over“-Schriftzug, als interaktiver Dialog mit programmgesteuerten Spielfiguren, als Geräusch, im Chatfenster mit anderen Spielern – in den meisten Spielen spielt Sprache eine wichtige Rolle. Ebenso finden sich häufig Bezüge auf Literatur – in Namen von Figuren und Orten, in der Gliederung in Akten und Chaptern [Kapiteln], bei aventûrehaften Questen und bei Adaptionen von literarischen Vorlagen.

Also braucht das Computerspiel die Literatur?

Das Computerspiel entwickelte sich nicht aus dem Nichts und Spieler mögen auch Bezug auf Bekanntes. Doch auch wenn einige Genres nicht ohne Erzählung und Sprache auskommen, sind Computerspiele im Kern nicht von der Literatur abhängig. Das Gameplay, das interaktive Steuern im EVA-Prinzip nach einem Regelsystem in einem Programmablauf, ist der Kern. Dies zeigen zahlreiche Spiele, wie z.B. „Naissancee“.
Mit neuen technischen Möglichkeiten ergeben sich auch immer neue Chancen für Computerspiele. So verbindet das Internet Spieler global und das Oculus Rift ermöglicht beeindruckende virtuelle Realitätserfahrungen. Neben der technischen Seite spielt auch der Erfindergeist der Gamedesigner eine wichtige Rolle. Innovation führt zu sensationellen Ergebnissen einerseits bei Kunst-Computerspielen wie bei „Sunset von telltale“, andererseits bei teils notgedrungenen – teils profitgeilen, Strategien des Geldverdienens, wie zahlreiche Freemiumgames und In-App-Käufe zeigen. Vielleicht bedarf das Computerspiel der Erfahrung, die Literaturbranche und Leser seit Jahrhunderten sammeln, um nicht alte Fehler erneut zu begehen.

Was Computerspiele Literaturliebhabern bieten können

Es gibt bereits Verschmelzungen mit der Literatur, wie Hypertexte, Entscheidestorys analog oder im Internet. Auch lassen manche AutorInnen in ihren Büchern Games eine wichtige Rolle spielen. Viele erfolgreiche Publikationen wie beispielsweise „Das Lied von Feuer und Eis“ funktionieren bereits über den Medienverbund mit dem Computerspiel. So können Leser ihre Lieblingswelt auch mit dem Aspekt der Interaktion und aus weiteren Perspektiven erleben. Für Produzenten erschöpft sich eine höhere Vermarktungsfähigkeit des Stoffes und auch für Texter und Illustratoren bieten sich in der Gamesbranche Arbeitsmöglichkeiten.

Wer fürchtet, dass das Buch „wegen dieser neuen Technik“ aussterbe, sei beruhigt: Natürlich ersetzt ein Computerspiel das fantasiefordernde Lesen nicht. Auch sind Strom und Geräte erforderlich, wo gedruckte Seiten in ihrer Schlichtheit punkten. Es ist nicht sinnvoll, nur die Konkurrenz der beiden Medien zu sehen. Fruchtbarer erscheint doch die Strategie, Bücher und Computerspiele in ihren Gemeinsamkeiten wahrzunehmen. Deswegen möchte ich alle Leser ermutigen, den Blick über den Tellerrand bzw. den Buchrücken zu wagen. Wer weiß, was Leser und Gamer noch Gutes aus einem gemeinsamen Dialog ziehen können…

Was denkt ihr darüber? Und wie sieht es mit analogen Spielen wie Brett- und Kartenspielen aus?

Dieser Text ist erstmals in der 18. Ausgabe erschienen.

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

4 Kommentare

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    Ein sehr toller Einstiegstext in das neue Ressort! Ich finde den Ansatz sehr spannend und mir fallen spontan tausend Möglichkeiten ein – ähnlich dem Filmtheater – ein vermeintlich fremdes Ressort mit Literatur in Verbindung zu bringen!
    Freue mich auf viele neue Ansätze 🙂

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    • Avatar

      Juhu! Ich freue mich auch über die Möglichkeit, unterschiedliche Medien in Verbindung zu bringen und bin gespannt, was dabei herauskommt! 🙂

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  2. Avatar

    Ein sehr schöner Artikel!
    Das Medium Computerspiel ist mittlerweile erwachsen geworden. Wie der Film und das Buch vor ihm auch, brauchte es eben seine Zeit, um komplexe, künstlerische Züge zu entwickeln.
    Es gibt Computerspiele, die zum einfachen Daddeln einladen (was auch seine Berechtigung hat – der Mensch spielt nun mal gerne), andererseits gibt es mittlerweile auch solche, die bewegend oder tiefgründig sind.

    Ein Spiel, das mich noch nach Jahren umtreibt und für mich eigentlich mehr ein Gedicht, ein literarisches Werk das unter die Haut geht, ist „Dear Esther“ von The Chinese Room. Wer des Englischen mächtig ist sollte sich auf dieses atmosphärische Spiel unbedingt einlassen und es gleich mehrere Male durchspielen, da es bei jedem Durchgang etwas anderes zu sehen und zu hören gibt (etwas, was bei einem Buch so nicht möglich ist).

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    @Arina Dan­ke für den schö­nen Kom­men­tar. Dann kommt ‘Dear Es­ther’ auf mei­ne per­sön­li­che Wunsch­lis­te – und be­stimmt auch bald hier auf die Spiel­stra­ße. Ist dies nicht ein Er­kun­dungs­spiel aus der Eg­o­per­spek­ti­ve, das auf ei­ner In­sel spielt? Ich mei­ne, das mal in ei­nem Let’sPlay ge­se­hen zu ha­ben…
    Was die­ses Gen­re an­geht, fand ich das Spiel ‘The Old City: Le­via­than’ sehr span­nend und ‘le­sens­wert’.

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