Top oder Flop? Mehr als ein Casting zu viel

von | 04.11.2016 | Buchpranger, Kinder- und Jugendbücher

Jugenddystopien sind schon seit einigen Jahren in. Mörderische Spiele zur Unterhaltung einer reichen Minderheit, staatliche Generalüberwachung, Folter und Genexperimente. Es wird alles ausprobiert. Auch eine Gesellschaft, die auf Castings basiert. Zeilenschwimmerin Ronja hat sich „Casting – Spiel ums Leben“ von Yvonne Richter vorgenommen.

castingLovis und Jo treffen sich bei einem der vielen Castings, die sie bestreiten, um ihren Lebensunterhalt zu erspielen. Während andere ihre Konkurrenten beleidigen und zu verdrängen versuchen, beschließen die beiden, ihre Gewinne zu teilen. Bald darauf schließen sich weitere ihrer kleinen Gemeinschaft an. Gemeinsam entdecken sie, was hinter den lauten und bunten Kulissen ihrer Welt vor sich geht.

Das Grundprinzip eines Castings eignet sich hervorragend für eine Dystopie. In einer Gesellschaft, in der die Bürger gezwungen sich, sich alles (Essen, Wohnung, Kleidung, Bildung etc.) durch die Teilnahme an bizarren und gefährlichen Shows zu erarbeiten, entsteht automatisch eine Schicht von benachteiligten, verarmten Menschen. So weit, so gut. Anschließend braucht es allerdings eine gute Begründung, warum diese Gesellschaft so aufgebaut ist oder zumindest eine genaue Erklärung, wie sie funktioniert. Beides lässt „Casting“ jedoch vermissen. Warum gibt es die verschiedenen Gesellschaftsklassen? Warum gehört wer zu welcher Klasse? Wer sieht sich die Castings an, wenn sie schon gefilmt werden? Wer sind die ominösen Investoren und was ist ihr Zweck? Warum wird überhaupt gecastet? Auf keine dieser Fragen bietet der Roman eine Antwort.
Hinzu kommt, dass der Handlungsaufbau sehr einfach gehalten und sprunghaft ist. Gerade spannende Stellen wie die Sabotage einer Show oder die Flucht aus der Gefangenschaft werden oft in nur wenigen zusammengefasst und schon geht es weiter zum nächsten Ereignis.

Insgesamt bleiben viele Geschehnisse ungenau und flüchtig. Dadurch geht sowohl die Nähe zu den Figuren als auch zur Handlung stiften. Die Figuren bleiben sehr flach und entwickeln sich nicht. Bis auf vereinzelte (meist körperliche) „Unfeinheiten“ scheinen sie keine Fehler zu haben und kaum welche zu machen. Ihre Motivation, die Gesellschaftsordnung zu bekämpfen und verändern zu wollen, ist aus moralischem Standpunkt nachvollziehbar und lobenswert, es fehlt jedoch der persönliche Anreiz. Die Idee ist plötzlich da und findet breite Zustimmung aber kaum Widerstand.
Dieser sollte eigentlich von den Juroren der Castings und den Investoren kommen. Die Investoren bleiben allerdings völlig im Hintergrund und scheinen auch gar nichts von den menschenwidrigen Umständen zu wissen. Die Juroren sind aber ebenfalls keine wirklichen Gegner. Zwar versuchen sie, Jo und Lovis zu stoppen, allerdings ohne ihnen jemals wirklich nahe zu kommen. Durch Fehlschläge, Ratlosigkeit und interne Zankereien (sowie je ein Juror mit Sprachfehler und starkem, bayerischem Dialekt, der in den Fußnoten übersetzt werden musste und sehr deplatziert wirkt) erscheinen sie vielmehr als lächerlich und wenig intelligent. Positiv anzumerken ist dagegen, dass es nicht eine einzige Liebesgeschichte gibt. Vor allem keine von den viel zu häufig auftretenden Dreiecksbeziehungen.

Alles in allem ist „Casting“ sprachlich auf einem recht einfachen Niveau und inhaltlich eher unbefriedigend. Insbesondere die Nicht-Begründung des Systems hinterlässt viel zu viele offene Fragen .

Casting – Spiel ums Leben. Yvonne Richter. Fabulus-Verlag. 2016. Ab 10 Jahren.

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