Seitenweise Mord und Totschlag

von | 20.10.2017 | #Todesstadt, Kreativlabor, Specials

Zappt man am Sonntagabend durch die Fernsehsender, begegnen einem Serien wie Tatort, CSI, Bones oder Monk. Krimiserien boomen und was den Büchermarkt angeht sieht es nicht anders aus. Beim Betreten einer Buchhandlung stellt sich schnell heraus, welches Genre dominiert: Krimis und Thriller. Doch woher kommt diese Faszination für Mord und Totschlag? Mit dieser Frage hat sich Geschichtenerzähler Adrian in ein Labor eingeschlossen, um nach Antworten zu suchen.

„Der Kommissar betritt den Tatort“ oder „Eine dunkle Gestalt folgte der jungen Frau, als sie nachts die Straße entlanglief“, so oder so ähnlich beginnen die meisten Geschichten, die sich mit einer der dunkelsten Seiten der menschlichen Psyche befassen. Schlägt man die Seiten eines Krimis oder Thrillers auf, so begibt man sich auf eine Reise, welche in den Kopf eines wahnsinnigen Serienkillers oder eines hilflosen Opfers führt. Möglich ist außerdem, einem Kommissar bei den Ermittlungen über die Schulter zu schauen.

Doch warum gerade Mord und Totschlag? Reicht denn eine Horrorgeschichte nicht mehr aus, um uns nachts nicht schlafen zu lassen oder die Schatten zu fürchten? Oder versuchen wir einfach nur, mit diesen Geschichten unsere eigene innere Mordlust zu befriedigen? Ich will nicht ausschließen, dass manche Menschen genau deshalb diese Art von Literatur lesen, doch ich denke nicht, dass das für die breite Masse gilt.
Für meine Überlegungen muss ich nun etwas weiter ausholen, denn sie führen mich in eine Zeit zurück, die von Aberglaube und Sagen geprägt war. Geschichten erzählten von Rittern in strahlender Rüstung, die auszogen, um Prinzessinnen vor Drachen und Lindwürmern zu erretten. Von Dorf zu Dorf gingen Legenden von Geistern und Bestien um, die durch die dunklen Wälder streifen. Teufel, die des Nachts die Kinder aus den Häusern stahlen oder Meeresungeheuer, die ganze Schiffe in die Tiefe zogen.

Nimmt man etwa die Märchen der Gebrüder Grimm zur Hand, welche die Erzählungen und Legenden der damaligen Zeit sammelten, so bekommt man einen guten Überblick darüber, was für die Menschen zu dieser Zeit viel mehr als nur Märchen waren. In den Augen vieler war das die Realität. Dies ließ die Menschen an den Lippen der Barden, Geschichtenerzähler und Dorfältesten hängen, wenn sie wieder von den Kreaturen berichteten, die in der Dunkelheit auf sie lauerten. Meist waren es jedoch Schauergeschichten, um etwa die Kinder des Dorfes davor zu bewahren, sich in den dichten Wäldern zu verlaufen. Berge wurden zu schlafenden Riesen oder Drachen und verlassenen Häusern im Wald wurde der Ruf eines Hexenhauses nachgesagt.

Heutzutage tummeln sich Drachen, Vampire und andere Spukgestalten nur noch in Fantasy- und Horrorgeschichten. Die Neugierde und der Entdeckungsdrang des Menschen brachte genug Licht auch in die dunkelsten Winkel dieser Welt und zeigte auf, dass uns dort weder Ghule noch Werwölfe auflauerten; jedoch zeigte es auch, dass sich dort etwas anderes verbarg, nämlich der Mensch selbst. Mit dem Verschwinden der abergläubischen Spukgestalten und dem Wachsen der Großstädte fiel das Auge auf einen viel natürlicheren Schrecken und zwar in Form von Mördern und Serienkillern. Dunkle Gassen und verlassene Industriegebiete schufen Spielraum für neue Schauermärchen und urbane Legenden und so begann auch das große, literarische Morden.

Größen wie etwa Arthur Conan Doyle mit seinen Sherlock Holmes-Romanen oder Robert Luois Stevenson mit seiner Geschichte über den Doktor Henry Jekyll und seiner sadistischen Kehrseite Edward Hyde, heizten die Feuer um diese neuen Monster an. Während die Whitechapel-Morde rund um Jack the Ripper dem ganzen noch Nachdruck verliehen. Jedoch bleibt jetzt noch die große Frage, warum dieses Genre so erfolgreich ist? Ich denke, dass die Antwort nicht in der Faszination für das Morden selbst liegt, sondern am guten, alten Happy End.

In den Sagen obsiegt der Ritter über den Drachen und rettet die Prinzessin, oder aber: ein Jäger geht in den Wald und erschießt den großen bösen Wolf. Im Krimi wird der Mörder schließlich von einem schlauen Kommissar überführt und seiner gerechten Strafe zugeführt und hindert ihn somit daran, weiter zu morden. Ein weiteres „Monster“ wurde von einem – mal mehr, mal weniger – strahlenden Helden zur Strecke gebracht. Hinzu kommt aber noch, dass man nicht einfach nur ein passiver Zuhörer oder Leser der Geschichte ist. Ein Krimi oder Thriller erlaubt viel mehr durch das eigene Kombinieren und Mitraten, Teil der Ermittlung zu werden und vielleicht auch mit einem kleinen Erfolgserlebnis belohnt zu werden, falls man mit der eigenen Vermutung richtig lag.

Schließt man nun nach Abschluss des Buches den Buchdeckel, so hat man das Gefühl, dass etwas Gutes geschehen ist, indem ein Mörder weniger auf den Straßen herumläuft. Obwohl man genau weiß, dass das alles nur die auf Papier gebrachten Gedanken eines Sebastian Fitzek oder Dan Brown sind, so bringt es vielleicht auch ein Stückchen Sicherheit, wenn man nachts nach Hause läuft.

Ein Fund aus der Todesstadt.

Illustration: Geschichtenzeichnerin Celina

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