Schwächen eines evolutionären Menschenbildes

von | 28.02.2018 | #philosophiestadt, Kreativlabor, Specials

Bücherstädter Lukas wirft einen sehr genauen Blick auf ein evolutionäres Menschenbild.

Die Evolutionstheorie ist eine der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Theorien überhaupt. Sie erklärt die Entstehung und Entwicklung der Arten und gibt damit eine naturwissenschaftliche Antwort auf die Fragen nach dem Ursprung der Arten – ein Feld, welches vorher nur von den Religionen abgedeckt wurde. So lehrte beispielsweise die katholische Kirche, dass die Arten, wie sie in ihrer heutigen komplexen Form existieren, nur durch einen Schöpfer erklärt werden könnten. Diese Lehre nennt sich Kreationismus und wird auch heute noch vertreten.

Eines der Hauptargumente der Kreationisten ist die Überlegung, dass etwa das menschliche Auge so komplex ist und auch sein muss, um sehen zu können, dass es nicht einfach Produkt eines Zufalls sein kann, sondern ein Schöpfer dahinter stehen muss. Während Kreationismus zu Zeiten Darwins die gängige Erklärung für die Entstehung der Arten war, wenden sich solche Argumentationen heute gegen die verbreitete Evolutionstheorie, die die Entstehung der Arten als scheinbar zufällig darstellt. Nach Darwin sind die Arten in einem langsamen Prozess entstanden und passen sich bis heute an ihre Umgebung an.

Für einen Kreationisten wirkt diese Entwicklung wohl wie eine zufällige, sie ist allerdings nichts anderes als eine naturwissenschaftliche Erklärung zu einem Prozess der Anpassung und Selektion. Organismen verändern sich nach Darwin durch zufällige Mutationen, Veränderungen im Genpool. Mutationen, die zu einer besseren Anpassung (Tauglichkeit) der entsprechenden Individuen führen, werden wahrscheinlicher und häufiger weitergegeben. Somit werden über die Generationen hinweg diejenigen Merkmale aussortiert, die nicht zu einer solchen Anpassung geführt haben. Der Prozess, der durch diese Theorie beschrieben wird, ist der Prozess der Evolution. Nach Darwin sind die Arten also nicht einfach erschaffen worden, sondern während eines langen Prozesses entstanden.

Das evolutionäre Menschenbild anhand von „evolutionären Prinzipien“

Soweit so gut. Allerdings ist die Evolutionstheorie in unserer heutigen Gesellschaft zu einem unreflektierten Allgemeingut geworden. So ist es kaum verwunderlich, dass wir auch unser Menschenbild durch evolutionäre Gedanken begründen können: Der Mensch sei ein biologischer Organismus wie alle anderen Tiere auch, also sollten für ihn auch die „Prinzipien der Evolution“ gelten. Es gehe schließlich darum, welche Gene am wahrscheinlichsten weitergetragen werden und dass diese Gene auch die eigenen sein sollten. Diese Vorstellung geht auf den Kampf jeder gegen jeden zurück, der dadurch entsteht, dass jedes Individuum ein Interesse daran hat, seine Gene weiterzutragen – dies geht nur mit der höchsten Tauglichkeit einher.

Die Weitergabe der Gene scheint also noch immer den Menschen zu bestimmen. Solche Gesetzmäßigkeiten, die sich aus den Beobachtungen über die Evolution ableiten lassen, kann man als „evolutionäre Prinzipien“ bezeichnen. Dass die eigenen Gene weitergetragen werden sollen, gilt auch für Menschen, da sie einen Trieb zur Selbsterhaltung und zur Fortpflanzung haben. Schließlich können wir davon ausgehen, dass auch wir versuchen werden, unsere Gene mit dem nötigen Egoismus – also einer hohen Priorität – durchzubringen.

Welche Mittel wir wählen, ist evolutionär gesehen erst einmal egal, hierbei geht es nur um die Effizienz. Ein solches evolutionäres Menschenbild würde jede Handlung des Menschen durch den Nutzen erklären, den dieser Mensch dadurch hat. Der Mensch wäre ein egoistisches Tier, welches im Wettbewerb bestehen muss. Genau dieser Hang zum Wettbewerb wird perfekt im Kapitalismus widergespiegelt: Ein auf Egoismus beruhendes Gesellschaftssystem entspricht – diesem Gedankengang folgend – den inneren Trieben des Menschen. Somit werden die „evolutionären Prinzipien“ auf den Menschen angewandt und ein auf Egoismus beruhendes System gerechtfertigt.

Probleme „evolutionärer Prinzipien“ als Grundlage der Handlungsmotivation

Doch diese „evolutionären Prinzipien“ können nicht einfach als Grundlage der Motivation eines Menschen dargestellt werden. Nur weil wir feststellen können, dass die Weitergabe von Merkmalen immer noch danach geregelt ist, inwiefern diese Merkmale einen Vorteil für den Träger bringen, heißt das noch nicht, dass diese Prinzipien der Evolution sich direkt auf den Menschen, sein Denken und Handeln auswirken.

Die Evolutionstheorie beschreibt einfach nur die Evolution und wenn sich die Kriterien für taugliche Merkmale verändern, ist das evolutionär gesehen eine Information mit einer gewissen Erklärkraft, für die einzelnen Individuen und deren Motivation aber völlig belanglos. Man kann aus der Gültigkeit der Regeln der Evolution nicht auf den Menschen schließen. Dies liegt daran, dass die Evolutionstheorie nur über die Entwicklung der Arten spricht und die Beschreibung der Weitergabe von Merkmalen nicht auf generelle „evolutionäre Prinzipien“ schließen lässt. Es ist eben ein Unterschied zu erklären, wieso es gewisse Verhaltensdispositionen geben kann (evolutionäre Erklärung) oder wieso eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine bestimmte Art und Weise handelt. „Evolutionäre Prinzipien“ sind insofern nicht Grundlage der Handlungsmotivation, sondern nur ein Produkt der Evolutionstheorie, welches uns erklären kann, wie sich Verhaltensdispositionen über Generationen hinweg durchsetzen können.

Fazit

Ein Schluss von „evolutionären Prinzipien“ auf die Handlungsmotivation des Einzelnen ist unzulässig, da die „evolutionären Prinzipien“ nur den Verlauf der Evolution erklären. In diesem Vorgang kommt das Individuum mit all seinen Gründen und Motiven aber nur an einer winzigen Stelle vor und ist selbst nicht Teil dieses Prinzips.

Es ist schließlich, was die Evolutionstheorie erklärt – die Entwicklung der Arten. Sie erklärt keine Menschenbilder und sie psychologisiert auch nicht, vermutlich weil sie zu beidem nicht in der Lage ist. Aus einer Erklärung, wie sich ein Merkmal über die Generationen bewähren kann, auf ein bestimmtes Menschenbild samt Motivationen zu schließen, erscheint vor diesem Hintergrund absurd. Gründe für Handlungen sind vielfältig und unabhängig von ihrem evolutionären „Nutzen“. Dieser Nutzen ist lediglich wichtig für die Weitergabe. Das evolutionäre Menschenbild liefert keine glaubhafte Erklärung für den Menschen. Die Umdeutung der Prinzipien der Evolution auf die Handlungsmotive von Individuen ist gescheitert.

Insofern erscheint es mir als falsch, die Wettbewerbsgesellschaft als eine Gesellschaftsform zu betrachten, die dem Menschen an sich entspricht. Der Mensch entspricht der Gesellschaft. Denn dies ist die wirkliche Aussage der Evolutionstheorie: Der Mensch passt sich im Verlauf der Evolution an und das tut er mittlerweile in einer zivilisierten Gesellschaft. Der Mensch ist also nicht automatisch ein egoistisches Wesen. Er ist zum Glück wandelbar, weil wir alle einer Evolution unterliegen, die mittlerweile an moralischen Werten nicht mehr vorbeikommt und das ist ein Glück, denn sonst wären wir wirklich alle verfangen – in einem Kampf jeder gegen jeden.

Literatur zum Thema:
Bayertz, Kurt: Größe und Grenzen eines philosophischen Forschungsprogramms. In: Kurt Bayertz (Hrsg.): Evolution und Ethik, Stuttgart 1993, Reclam.

Ein Beitrag zum Special #philosophiestadt. Hier findet ihr alle Beiträge.
Illustration: Satzhüterin Pia
Bücherstadt Magazin

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