Outlast 2 – verdrängt und verfolgt

von | 30.10.2017 | #Todesstadt, Digitale Spiele, Specials, Spielstraße

„Outlast“ steht seit dem ersten Teil für Dunkelheit, Panik induzierende Fluchten, explizite Gewalt und manchmal durchaus aufgelegte Schockmomente. Codejäger Peter hat sich auf dem Weg durch die Todesstadt verirrt und musste sich dem alptraumhaften Wahnsinn stellen.

„Outlast“ kommt mit seinem Horrorsetting, einer außer Kontrolle geratenen Irrenanstalt, in der verrückte Ärzte und eine mysteriöse Firma Experimente an den Insassen durchführen, sehr traditionell daher. Im Vergleich hierzu bedient sich „Outlast 2“ mit seinem fanatisch religiösen Hinterweltlerdorf zwar ähnlich klassischer Umgebung, jedoch verbirgt sich hinter der blutigen Fassade eine Reihe interessanter und düsterer Thematiken.

Sexuelles Trauma und Repression

Irgendwo in der Wüste von Arizona, in einer dünn besiedelten Gegend, deren Bewohner wenig bis keinen Kontakt zur Außenwelt haben, taucht eine sterbende und schwangere Frau am Rand eines Highways auf. Wochen später überfliegt eine Reporterin, begleitet von ihrem Ehe- und Kameramann (unser Spielcharakter) mit einem Nachrichtenhubschrauber die Gegend, um eine Reportage über die Ereignisse zu drehen. Gerade als sie dem Spielenden verrät, sie sei schwanger, kommt es wie es kommen muss: Der Helikopter stürzt ab.

Wir erwachen in absoluter Dunkelheit, nur mit einer Kamera mit Nachtsichtfunktion und begrenztem Batterievorrat ausgestattet. Von da an irren wir auf der Suche nach unserer Frau durch Wüsten, Wälder, Dörfer und Tunnel, ständig verfolgt von fanatischen Zeloten, einer pervertierten Erlöserfigur oder deformierten unterirdischen Geschöpfen. Unterbrochen wird all das von Schleichpassagen, dem Lesen verstreuter Briefe, Notizen und umgedichteter Bibelverse voller Gewaltphantasien und – am wichtigsten – dem Aufkeimen traumatischer Erinnerung aus der Schulzeit in einer katholischen Privatschule.

Wir schleichen durch die nächtlichen Korridore der Schule und werden dabei mit verdrängten Erinnerungen konfrontiert. In diese drängen sich metaphorische Albträume, welche den Schrecken der Wahrheit in sich tragen. Und genau in solchen Sequenzen liegt die Offenbarung der eigentlichen Thematik des Spiels: sexuelles Trauma und Repression. Dabei halten der Wahnsinn und die Gewalt der Dorfbewohner mit ihren sich bekriegenden Fraktionen dem Protagonisten einen schmutzigen Zerrspiegel seiner eigenen Innenwelt vor. Seine ständige Flucht und die Unmöglichkeit offener Konfrontation sind die Symptome einer im Kindesalter erfahrenen Machtlosigkeit.

Geteilter Wahn (Spoilerwarnung)

Die Handlung wird umso konfuser je näher wir uns dem Ziel des Abenteuers, der Rettung unserer schwangeren Frau, nähern. In gleichem Maße zeichnet sich jedoch das Bild des Traumas immer klarer ab und bricht mehr und mehr in den scheinbar realen Albtraum herein. Tatsächlich versteckt sich in der Spielwelt, in Form einer Notiz in einem Schlafsack weit entfernt vom eigentlichen Weg, eine innerfiktionale Erklärung für den scheinbar ansteckenden Wahnsinn der Dorfbewohner und den Grund für die geteilten und vermengten Halluzinationen.
Das Dorf ist Opfer eines Experiments jener Firma, die wir bereits aus dem ersten Teil kennen. Sie versucht mithilfe von Radiowellen geteilte Halluzinationen bei den Menschen auszulösen. Diese Erklärung ist zwar erlösend für all jene, die keine Leerstellen in einer Erzählung ertragen können, ändert aber mit ihrer Entmystifizierung nichts an Botschaft und Thematik.

Bald schon können wir unserer eigenen Realität nicht mehr trauen, immer flüssiger gehen Gegenwart und Vergangenheit ineinander über, bis sich das eine Bild immer mehr ausfranst, während das andere konkretere Form annimmt. Das Monster aus Händen und Zungen, das uns durch die Schulkorridore jagte, wird zum Vertrauenslehrer, der eine Schuldfreundin missbrauchte. Die Schuld, von all dem gewusst zu haben, jedoch nicht in der Lage gewesen zu sein, einzuschreiten, manifestiert sich in der unendlichen Flucht und der Unmöglichkeit, die Bestien der Gegenwart auch nur anzusehen. Die inzestuöse und gewalttätige Welt des Dorfes nimmt das Trauma des Protagonisten in den kollektiven Wahn auf und versucht die schwangere Frau aus einer plötzlichen Angst vor der Geburt eines Kindes, das sie als den Antichrist ansehen, zu opfern. Auch die Regeln der Welt scheinen außer Kraft gesetzt zu sein. Absurde Raum- und Zeitstrukturen herrschen, neun Monate Schwangerschaft vergehen in einigen Stunden, als das Kind geboren wird ist nicht einmal sicher, ob es überhaupt existiert.

„Outlast 2“ ist ein Spiel, an dessen Ende man sich unwohl fühlt. Noch unwohler als während der Horrorsequenzen selbst. Die Gnadenlosigkeit der Gewaltdarstellung und dräuende Ahnung einer noch viel schlimmeren Wahrheit, die in das Gameplay einfließenden Motive von Schuld und Verdrängung sowie die Idee eines geteilten Wahnsinns, der alle Sorgen, Ängste und Traumata einer Gesellschaft Wirklichkeit werden lässt, ist so bedrückend wie auf furchtbare Weise faszinierend.

Outlast 2. Studio: Red Barrels. Publisher: Red Barrels/Warner Bros. Interaktive, 2017. Plattformen: Playsation 4, Xbox One, PC. Spielerzahl: 1.

Ein Fund aus der Todesstadt.

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