Nur ein Traum?

von | 12.03.2018 | Kreativlabor

„Wie lang bleibst du noch in meinen Träumen? Und wann gibst du mich wieder her?“ (aus „Miss Curly Hair“, Julian Le Play)

Du stehst mir gegenüber. Obwohl es ewig her ist, dass ich dich außerhalb eines Traumes gesehen habe, bist du mir kein bisschen fremd. Es ist, als wäre keine Zeit vergangen, als hätte sich nie etwas geändert. Es ist wie damals: die Vertraulichkeit, die Zweisamkeit… Du bist noch genau so schön wie ich dich in Erinnerung habe. Und das Beste ist: Du bist hier, hier bei mir.

Doch nur einen Moment lang ist mir diese Freude gestattet. Denn dann wendest du dich ab von mir. Du rennst die Stufen hinab, auf das unten wartende Auto zu. Du verlässt mich. Ich bleibe allein zurück.

Mir ist sofort klar, dass dies einer dieser entscheidenden Momente im Leben ist. Eines ist sicher: Alles wird sich ändern, so oder so. Die Entscheidung, wie es sich verändert, liegt bei mir – und sie fällt mir kein bisschen schwer.

Es bedarf bei Weitem nicht so vielen Mutes wie gedacht, das „Richtige“, aber auch das „Schwierigere“ zu tun: Noch bevor du am Auto angekommen bist, renne ich dir hinterher. Ich will dich aufhalten. Du sollst hierbleiben, hier bei mir.

Ich rufe deinen Namen. Überrascht bleibst du stehen und drehst dich zu mir um. Ich gebe mir nicht die Zeit zu zögern oder zu zweifeln, wie du reagieren und wie diese Sache hier ausgehen wird; noch ehe ich mich versehe, kommen die Worte, die mir so lange Angst machten, schon über die Lippen: „Bleib hier – ich liebe dich!“

Was sind wir glücklich danach… So leicht und unbeschwert und ganz ohne Sorgen habe ich mich noch nie gefühlt. Wir albern herum, jagen einander durch den Garten, nur, um vom anderen berührt zu werden. Ich hole dich ein, renne dich fast um und ziehe dich, strauchelnd und halb stürzend, lachend in eine Umarmung. Du hältst mich fest und gemeinsam finden wir ins Gleichgewicht zurück. Du und ich.

Als ich erwache, bin ich enttäuscht, dass es – wieder einmal – nur ein Traum war, und ärgere mich gleichzeitig, weil es mein Unterbewusstsein – wieder einmal – besser wusste als ich. So felsenfest war ich davon überzeugt, abgeschlossen zu haben mit dir, mit uns – ich hätte alles dafür verwettet. Okay, vielleicht nicht alles, aber schon sehr viel. Doch ich habe mich deutlich geirrt: In Momenten wie diesen bist du mir präsenter als je zuvor.
Manchmal fühlt es sich so an, als würde ich wahnsinnig werden, so sehr beschäftigt es mich. Auch die Tatsache, dass niemand davon weiß, trägt nicht zur Lösung dieses „Problems“ bei – aber ich rede mir erfolgreich ein, dass ich dieses Geheimnis für mich bewahren will. Bei meinem „Kampf“ zurück in den Alltag, versuche ich mir einzureden, dass es nur ein Traum war. Moment, nur ein Traum? Das überzeugt mich nicht. Ist es nicht vielmehr eine Botschaft meines Unterbewusstseins? Eine Verarbeitung von Gedanken, Eindrücken, Gefühlen? Nein, es ist nie „nur ein Traum“ – es ist so viel mehr.

Verseflüsterin Silvia
Illustration: Seitenkünstler Aaron

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