Klassiker der Weltliteratur im Videospiel

von | 31.08.2017 | Spielstraße

Literatur als narratives Medium und Videospiel als interaktiv-narratives Medium stehen unveränderlich im symbiotischen, familiären Verhältnis zueinander. Das eine aus dem anderen entsprungen und durch moderne Technologie in den letzten 30 Jahren möglich gemacht, spiegelt in vielen seiner Facetten die eigene Herkunft wider und greift offen in die narrative Kiste der Weltliteratur. Codejäger Peter lädt dazu ein, einige Beispiele zu besprechen, von kleinen Verweisen, über Adaptionen hin zur Aneignung von Motivik und Thematik.

Verdammt in alle Ewigkeit

Eines der bekanntesten und auch am besten geeigneten Beispiele an dieser Stelle ist die langjährige Videospielserie „Castlevania“ (1986). Die ersten Ableger aus frühesten Konsolenzeiten führten die Spielenden in eine von Bram Stoker, der Gothic Novel und der Mythologie der Monstererzählungen des 18. Jahrhunderts inspirierte Welt. Dracula als Personifizierung des Bösen ist in allen Iterationen und Reboots von „Castlevania“ mit von der Partie. Aus dem grundlegenden Figurenarsenal von Menschen und Monstern wurde über die Jahre durch das Hinzufügen von neuen Kreaturen, Familienverhältnissen und Charakteren eine eigene Mythologie erschaffen, bezieht sich aber in Verweisen und den Wurzeln des Designs immer auf Stoker, Shelly und Co. „Castlevania“ hat sich über die Jahre, bis zum letzten erschienenen Teil „Lords of Shadow 2“ (in dem man als Dracula gegen den Teufel selbst ins Felde zieht) so weit verselbständigt, dass in den vergangenen Monaten sogar eine Serienadaption des Videospiels erschienen ist. Eine Adaption zweiten Grades sozusagen.

Eine sehr viel weniger nachvollziehbare und obskurere Adaption eines der größten Werke der Weltliteratur (im Gegensatz zu Bram Stoker, dessen Werk sich vor allem seiner Thematik wegen großer Beliebtheit erfreut und weniger aufgrund der literarischen Qualität [persönlicher Meinungsalarm]) ist „Dantes Inferno“. Es handelt sich um einen sogenannten spectacle-fighter[1], der sich Dante Alighieris ersten Teil der „Göttlichen Komödie“ zum Ausgangsstoff nimmt. Es scheint auf den ersten Blick ein absurdes Unterfangen zu sein, ein Versepos über den Aufbau der Höllenkreise in ein Videospiel zu verwandeln. Doch es brauchte nur eine Handvoll Handlungsänderungen und Dramatisierungen um ein stimmiges Werk zu schaffen. Anstatt unbehindert von Vergil durch die Kreise geführt zu werden, ist Dante ein heimkehrender Kreuzritter, der seine Frau (tot und in den tiefsten Höllenkreis verschleppt) nicht wiederfindet und sich deshalb an allen Verdammten und Dämonen vorbei in die Tiefe vorkämpft.

Das Leveldesign orientiert sich an den originalen Kupferstichen zu Dantes Werk und ist wunderbar furchterregend. Und auch Vergil steht den Spielenden zur Seite und erklärt in Originalversen, was vor sich geht. Die gewalttätige Natur eines spectacle-fighters passt ausgezeichnet zu der martialischen Darstellung der Höllenqualen und fügt sich nahtlos in die düstere Stimmung von Dantes Inferno. Kleine Details, wie das Auftreten aller im Epos namentlich genannten verdammten Sünder und die Option, sie nach Erfahren ihrer Vergehen zu verdammen oder zu erlösen, fügt sich in den lehrreichen und unterhaltsamen Charakter des Spiels ein.

Menschen, Monster, tanzende Geister

Die „Witcher“-Serie ist in sich bereits eine Adaption einer gleichnamigen Erzählungs- und Romanreihe und beinhaltet zusätzlich dazu eine Vielzahl von literarischen Verweisen auf andere Werke der Weltliteratur. Die Handlung der Spielereihe setzt nach dem Ende seiner literarischen Vorlage ein und hat bis auf sein Figurenarsenal auf der Handlungsebene keine Deckung damit. Die Welt von „The Witcher“ bedient sich einer Vielzahl von mythologischen Vorlagen. Die slawische Sagenwelt verbindet sich mit Grimms Märchen, klassischer Motivik der fantastischen Literatur und der Geschichte des europäischen Mittelalters. Zum Verständnis der Natur der unterschiedlichen Verweise sind einige Beispiele hilfreich: In „The Witcher 2“ können die Spielenden im zweiten Akt in einer Mine die Überreste eines Zwerges entdecken, der den Namen Balin („Der Herr der Ringe“) trägt und ein Tagebuch bei sich hat.

In „The Witcher 3“ betreten die Spielenden ein Buch, das von allen Figuren aus Grimms Märchen bevölkert wird. Nach diesen sehr offenen Verweisen sei noch eine sehr dezente Anspielung erwähnt: Im Erweiterungspaket „Hearts of Stone“ für „The Witcher 3“ gehen sowohl Geralt von Rivia (der Witcher) als auch einer der anderen Protagonisten einen Pakt mit einer Mephistofigur ein und die Handlung dreht sich darum, sich dem Pakt wieder zu entziehen. Dabei verhilft der Spielende einem Geist dazu, einen letzten unterhaltsamen Abend auf einer Hochzeit in der Welt der Lebenden zu verbringen. Am Ende des Abends sagt Geralt: „May the moment last.“, wobei es sich um eine Paraphrase des Codewortes aus Goethes Faust handelt. Wenn Faust endlich zufrieden sei und Mephisto seine Seele erhält, soll er zum Augenblicke sagen „verweile doch, du bist so schön.“ Diese Anspielung ist wegen der faustischen Natur der Handlung eine äußerst offenkundige.

Symbiose

Videospiele sind ein neues Medium für literarische Produktion und fügen dem bisherigen Fundus erzählerischer Möglichkeiten eine Vielzahl neuer Facetten hinzu. Dabei können und wollen sie auch nicht von ihren Wurzeln getrennt werden. So wie die moderne Literatur sich auf vergangene Kunst bezieht, ist auch das Medium Videospiel seinen Ursprüngen verpflichtet. Es erweitert diese nicht nur und macht sie (nicht nur) für neue Generationen parallel zu Literatur zugänglich, sondern fügt ihr auch eine neue Bedeutung und eine andere, kreative Art von Tiefe hinzu.

[1] Genrebezeichnung, z.B.: God of War, Castlevania: Lords of Shadow, Batman: Arkham Asylum

  • Castlevania (37 Teile). Studio: Diverse. Publisher: Konami. 1986-2014. Alle Plattformen, Einzelspieler.
  • The Witcher / The Witcher 2: Assassins of Kings / The Witcher 3: Wild Hunt. Studio: CD Project Red, Publisher: CD Project Red, 2007-2015, Plattformen: PC, Playstation 3, Playstation 4, Xbox 360, Xbox One. Einzelspieler.
  • Dante’s Inferno, Studio: Visceral Games. Publisher: Electronic Arts. 2010. Plattformen: Playstation 3, Xbox 360, PSP. Einzelspieler.
  • Geralt-Saga (5-teilige Romanreihe, 4 Erzählbände, 1 Einzelroman). Andrzej Sapkowski. 1990-2013.
  • Divina Commedia. Dante Alighieri. 1472.
  • Dracula. Bram Stoker. Archibald Constable and Company. 1897.
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