Ein (fast) perfekter Mord: „Irrational Man“ im Literarischen Duett

von | 28.02.2018 | #philosophiestadt, Filmtheater, Specials

Willkommen zum bücherstädtischen „Literarischen Duett“! Anlässlich unseres Specials #philosophiestadt geht es in der heutigen Sendung um Woody Allens Film „Irrational Man“. Stadtbesucher Christian und Worteweberin Annika philosophieren darüber, wann ein Mord eigentlich gerechtfertigt ist, und welche Folgen er haben kann.

WA: Ok, dann erzähl doch zum Einstieg mal, worum es in diesem Film geht.

SC: Es geht um einen Philosophieprofessor, Abe heißt er – oder ist er eigentlich Philosoph, und nimmt nur eine Dozentenstelle an?

WA: Ja, ich glaube, er ist eigentlich Philosoph, aber er hat seit einiger Zeit Probleme, noch was zu Papier zu bringen, seine Gedanken sind eigentlich vor allem destruktiv und vom Alkohol vernebelt…

SC: Jedenfalls nimmt er die Stelle an der Uni an, weil sein Leben irgendwie aus dem Ruder gelaufen ist und er in einer ganz schönen Mid-Life-Crisis steckt. Die Stelle soll ihm helfen, auf Kurs zu kommen.

WA: Und ich glaube, er braucht auch einfach das Geld, obwohl er eigentlich keine Lust auf die Studierenden hat und darauf, überhaupt mit anderen in Kontakt zu kommen.

SC: Dann freundet er sich am College mit einer Studentin an, Jill, gespielt von Emma Stone. Sie ist ganz begeistert von seinem Seminar und spricht ihn schließlich an.

WA: Abe stellt dann fest, dass Jill klüger als die anderen ist, er sucht ihre Gesellschaft und ihre Freundschaft. Wobei es für sie mehr als Freundschaft ist, auch wenn sie das anfangs nicht unbedingt möchte, denn sie hat einen Freund.

SC: Stimmt, aber das ist ja nur ein Strang der Nebenhandlung. Eigentlich geht es darum, dass die beiden in einem Restaurant ein Gespräch belauschen, von einer Mutter, der das Sorgerecht entzogen werden soll, obwohl sich der Vater gar nicht um die Kinder kümmert. Der Richter ist aber befangen und die Mutter ist deswegen sicher, dass er falsch handeln wird. Dann keimt in unserem kleinen Philosophen die Idee, dass er den Richter einfach umbringen könnte, um das Problem so aus der Welt zu schaffen.

WA: Er beginnt Pläne für den „perfekten Mord“ zu schmieden, beobachtet diesen Richter lange, und gleichzeitig blüht er immer mehr auf. Er kann wieder Beziehungen eingehen, sogar wieder klar denken und wirkt auch sonst zugänglicher…

SC: …weil er sich plötzlich wieder lebendig fühlt, und denkt, er würde endlich wieder etwas Sinnvolles machen. Mit dem Mord glaubt er, im Kleinen einen direkten Einfluss aufs Schicksal zu haben und die Welt etwas besser machen zu können. Aber es darf natürlich angezweifelt werden, ob man die Welt besser macht, wenn man jemanden umbringt.

WA: Ein guter Punkt! Ist das nicht die Frage nach dem kategorischen Imperativ von Kant auf der einen Seite, und auf der anderen der Utilitarismus? Entweder darf man nie töten, weil töten immer schlecht ist, oder man darf es aus guten Gründen tun, wenn man die Welt dadurch besser macht. Ich meine, so in der Art haben wir das in der Schule gelernt, aber ich würde jetzt nicht darauf pochen. Doch egal, wie das jetzt in der Philosophie heißt, die Frage nach der Moral von Abes Mord bleibt. Die Studentin findet auf jeden Fall falsch, was er da gemacht hat, als sie es dann rausbekommt.

SC: Genau, sie sagt ihm, er soll sich stellen. Und dann verspricht er ihr es auch, denn es würde sonst jemand anderes für ihn verurteilt, der unschuldig ist. Sonst wäre es Jill glaube ich auch nicht so wichtig gewesen, dass Abe sich stellt.

WA: Ich glaube aber schon, dass sie es generell schlimm findet, dass er gemordet hat. Auf mich wirkte sie extrem erschüttert.

SC: Aber es ändert für sie trotzdem die Situation, immerhin müsste sonst jemand Unschuldiges ins Gefängnis.

WA: Was ich an dem Mord auf jeden Fall falsch finde, ist, dass der Professor, Abe, es zwar vordergründig für das Wohl dieser Mutter tut, letztendlich interessiert er sich später aber gar nicht dafür, wie der Fall entschieden wird. Es geht ihm vor Allem um sich selbst, plötzlich fühlt er sich toll, kann sich wieder auf Frauen einlassen. Der Mord ist für ihn wie ein Heilmittel.

SC: Ich finde es auch ziemlich zweifelhaft, dass gerade diese Sachlage einen Mord rechtfertigen soll. Das könnte man auch auf anderem juristischen Weg aus der Welt schaffen. Der Professor könnte ja auch an die Öffentlichkeit gehen und von dem Fall erzählen, er hat immerhin mehr Einfluss als die Mutter des Kindes.

WA: Und so existentiell ist das Problem der Frau ja dann auch nicht. Natürlich wäre es schrecklich, wenn sie das Sorgerecht verliert, aber der Richter ist ja trotzdem kein Verbrecher wie Hitler, der das Leben Tausender bedrohen würde. Wenn man alle Menschen umbringen würde, die irgendwie moralisch verwerflich handeln, wären nicht mehr besonders viele Leute übrig. Das allein reicht als Kriterium also finde ich nicht aus.

SC: Aber man kann ja vorher auch nicht wissen, was noch passieren wird. Das ist irgendwie das Problem, wenn man jemanden umbringen will, nur um mehr Tote zu verhindern zum Beispiel: Man sieht das Ende nicht. Gerade bei dem Richter ist es nur eine Mutmaßung, was er getan haben könnte, wenn er nicht umgebracht worden wäre.

WA: Stimmt natürlich. Ich habe mal gelesen: Das Leben ist eine Lotterie, bei der man nur die Gewinner sieht. So ähnlich ist es hier natürlich auch. In dem Moment, wo Abe sich entscheidet, den Richter zu töten, sind alle Karten sozusagen neu gemischt. Hast du dir eigentlich beim Schauen schon Gedanken darüber gemacht?

SC: Eigentlich nicht so direkt. Am Anfang konnte ich noch nachvollziehen, was Abe tut, aber dann hat er sich immer mehr zum Antagonisten entwickelt. Sein moralischer Standpunkt ist immer dünner geworden und dann komplett in unethisches Verhalten umgeschlagen.

WA: Ich konnte ihn von Anfang an nicht so richtig leiden, was aber glaube ich erst weniger an seinem moralischen Standpunkt lag, denn den kannte man da ja noch nicht. Aber seine Figur ist so abgerissen, so am Ende, und dann zieht er Jill da immer weiter mit rein. Auch wenn das wie gesagt nicht der Fokus der Geschichte ist, finde ich es doch wichtig. Sie weiß nicht, worauf sie sich einlässt, aber Abe weiß, was er für ein Mensch ist und könnte sie von sich fernhalten. Er versucht das zwar auch halbherzig, aber natürlich erfolglos. Das mochte ich von Anfang an nicht.

SC: Ich fand es aber gut, dass er für Leute eintreten wollte, die sich selbst nicht helfen können, auch wenn die Wahl der Mittel vielleicht nicht angemessen ist. Aber am Ende will er sich nur noch selbst aus der Schlinge ziehen, das hat auch nichts mehr mit edlen Zielen zu tun. Das ist ein definitives Charakteristikum für einen Mord, heimtückisch und aus niederen Beweggründen.

WA: Stimmt, eigentlich wäre es moralisch noch in Ordnung gewesen, wenn er sich am Ende einfach gestellt hätte. Für den Fall der Frau hätte das ja nichts geändert, aber es hätte gezeigt, dass es Abe nicht nur um sich selbst geht. Stattdessen plant er aber einen weiteren Mord zur Vertuschung, aber da sollten wir wohl nicht zu viel verraten.

SC: Wenn er alles zugegeben hätte, wäre es vielleicht sogar nur Totschlag gewesen, das weiß ich nicht genau, aber auf jeden Fall hatte er da noch ganz gute Gründe.

WA: Das stimmt, die Moralfrage ist irgendwie ziemlich komplex, aber ich glaube, für uns haben wir sie beantwortet. Und wie hat dir Film generell gefallen?

SC: Ganz gut! Ich mag Woody-Allen-Filme, sie sind nicht so aufregend, es knallt nicht so viel, aber sie sind schön anzuschauen. Meistens verwendet er pastellfarbene Bilder, fast wie ein Gemälde.

WA: Stimmt, das ist mir auch in anderen seiner Filme aufgefallen. Dabei ist das bei „Irrational Man“ schon erstaunlich. Der Kontrast zwischen den hellen Bildern und dem perfiden Plan und der düsteren Gedankenwelt von Abe ist ja ziemlich groß.

SC: Ja, man erkennt da eine klare Linie in den Filmen. Man kann sie schön anschauen, aber trotzdem bleibt es spannend, auch wenn die Handlung etwas dahinplätschert. Das ist anspruchsvoll, aber ohne, dass das ganze Wohnzimmer wackelt. Was er sagen möchte, ist schön verdichtet und in schönen Bildern erzählt.

WA: Unaufgeregt erzählt, das würde ich auch sagen. Und gleichzeitig hat er uns gut zum Nachdenken gebracht. Ich habe jedenfalls auch schon beim Schauen darüber nachgedacht, ab welchem Punkt Abes Verhalten nicht mehr in Ordnung ist und mitgefiebert. Das liegt glaube ich auch an den Figuren, die haben Tiefe und sind nicht total stereotyp. Also ich würde sagen, ein empfehlenswerter Film, der unterhält, und hinter dem trotzdem eine ganze Menge steckt!

Und damit ist unsere Sendezeit vorbei! Wir hoffen, unser Publikum konnte einen Einblick in unser heutiges Werk erhalten und schaltet auch das nächste Mal wieder ein, wenn es heißt: das Literarische Duett in der Bücherstadt!

Irrational Man. Regie & Drehbuch: Woody Allen. J. Phoenix, E. Stone. Warner Bros. 2015. USA. (95 Minuten.) FSK 12.

Ein Beitrag zum Special #philosophiestadt. Hier findet ihr alle Beiträge.

Illustration: Buchstaplerin Maike, Filmbilder: Warner Bros.

http://buecherstadtkurier.com/live-aus-der-buecherstadt-akram-el-bahay-im-literarischen-duett/

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