Immer wieder Wunderland

von | 20.05.2016 | Filme, Filmtheater

Phoebe im Wunderland2

Hätte der britische Schriftsteller Lewis Carroll je gedacht, dass seine Geschichte um die kleine Alice, die in ein Wunderland fällt, so berühmt wird? Unzählige Male wurde dieses Werk adaptiert: Theater, Filme, Spiele und andere Medien bedienen sich noch heute dieser Geschichte oder verweisen auf sie. Kurz vor dem Kinostart des neuen Films „Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“ hat Zeichensetzerin Alexa einem Film Aufmerksamkeit geschenkt, der zwischen Wunderland und Realität springt.

Überall Wunderland

„Phoebe im Wunderland“ heißt das 2008 erschienene Filmdrama, das sich um das Mädchen Phoebe dreht. Der Film basiert keinesfalls rein auf der Buchvorlage, sondern integriert diese in Phoebes Geschichte. Überall ist Wunderland: in Phoebes Zimmer, in der Doktorarbeit ihrer Mutter, im Schultheater – und schließlich auch in Phoebes Kopf. Das Mädchen sieht, was andere nicht sehen, sie spricht mit Figuren, die aus Wunderland kommen. Natürlich liegt es da nahe, dass Phoebe sich um die Rolle der Alice fürs Schultheater bewirbt und diese – wie kann es auch anders sein – tatsächlich bekommt.
Phoebe blüht im Theater auf: Während sie Alice spielt, ist es, als sei sie in einer anderen Welt. Alle Sorgen sind sogleich vergessen; hier ist sie keine Außenseiterin mehr, die ihre Mitschüler anspuckt, weil sie mit der Situation nicht anders umzugehen weiß. Und hier spielt es keine Rolle, ob sie „seltsam“ ist oder „normal“.

Phoebe im Wunderland„Seltsam“

„Seltsam“ – tatsächlich wirkt Phoebe anders als ihre Schwester oder ihre Mitschüler. Doch mit einer Intensität, die bei einem verträumten, aufgeweckten Mädchen nicht wirklich auffällig ist. Warum sollte sich ein Mädchen, das sich von ihren Mitschülern bedrängt fühlt, nicht wehren dürfen – und sei es durch Spucken? Weshalb darf ein Kind keine imaginären Freunde haben? Und aus welchem Grund ist es auf einmal „seltsam“, wenn Kinder aussprechen, was andere verletzen könnte?
Phoebes Verhalten wäre vielleicht nicht sonderlich aufgefallen, wären da nicht die besorgten Eltern und die strengen Lehrer, die sie scheinbar unentwegt im Auge haben. Es sind ihre Bemerkungen und Diskussionen untereiander, welche die Frage aufwerfen, was an diesem Mädchen denn so „seltsam“ sei.

Tourette-Syndrom

Vielleicht aber ist genau das die Stärke des Films: Den Zuschauern wird zunächst der Eindruck vermittelt, alles sei harmlos und Phoebe ein völlig normales Kind. Aber sobald man näher an Phoebes Lebenswelt herantritt, entdeckt man ihr Zwangsverhalten, das selbstzerstörerische Ausmaße annimmt. Sie muss sich mehrmals am Tag und sehr lange die Hände waschen. Sie schürft sich die Knie auf, weil sie nicht aufhören kann, die Treppenstufen hoch- und runterzuspringen. Und irgendwann ist sie so tief in ihrem eigenen kleinen Wunderland, dass sie unbedacht „springt“.
Zum Ende hin wird klar, worauf der Film anspielt: Das Mädchen hat das Tourette-Syndrom, eine Nervenerkrankung, die genetisch bedingt ist. Plötzliche Bewegungen oder ungewollte Ausrufe gehören zu den Anzeichen der Erkrankung und liefern somit die Erklärung für Phoebes Verhalten: Das Spucken, das unabsichtliche Aussprechen von obszönen Ausdrücken und ihr Zwang, sich die Hände zu waschen.

Theater im Theater

Erwähnenswert ist neben dem zentralen Thema die Umsetzung des Films als eine Art „Theater im Theater“. Die Dialoge der Figuren wirken, als spiele sich die Geschichte auf einer Bühne ab. Durch den sinnvollen Einsatz von rhetorischen Mitteln kommt die Dramatik des Films noch besser zum Ausdruck. Und das nicht nur auf der Schulbühne, auf der Phoebe die Alice spielt. Schauspiel ist auf jeder Erzählebene greifbar – wie eine Tür zwischen den Welten – und dadurch ist alles möglich: Wunderland ist überall.

Phoebe im Wunderland. Regie und Drehbuch: Daniel Barnz. Schauspieler: Elle Fanning (Phoebe Lichten), Felicity Huffman (Hillary Lichten), Patricia Clarkson (Miss Dodger), Ian Colletti (Jamie) u.a. USA, 2008. Ab 6 Jahren.

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Soweit ich mich erinnere, besteht dieser Film den Bechdeltest.

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  2. Avatar

    Stimmt! Es geht hier nicht nur um Männer! 😉

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