Ich bin dann mal weg – Mit Hape Kerkeling auf Pilgerreise zu mir selbst

von | 17.05.2016 | Belletristik, Buchpranger

Nachdem ich kurz nach Weihnachten 2015 den Kinofilm „Ich bin dann mal weg“ mit Devid Striesow gesehen hatte, war in mir die Neugierde auf das gleichnamige Buch von Hape Kerkeling geweckt worden. Dieser war mir zwar schon lange ein Begriff, vor allem wegen seiner Parodie der Königin Beatrix der Niederlande und des Bürgers Horst Schlemmer. Ansonsten wusste ich jedoch nicht viel von diesem Entertainer. Außer eben, dass er eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela unternommen, und damit einen regelrechten Hype ausgelöst hat, nämlich den, auf dem Jakobsweg zu pilgern.

Mein Exemplar von Hape Kerkelings Pilger-Tagebuch aus dem Piper-Verlag ist ein Taschenbuch. Vorn auf dem Umschlag prangt ein hübsches Bild von Devid Striesow als „Pilger Kerkeling“ vor einem kleinen, südländisch anmutenden Steinhäuschen, einer Viehhütte vielleicht. Im Buch finden die Leser neben viel Text auch eine Menge Fotos – zum Film, aber auch private Fotos von Kerkelings Pilgerreise. Wenn ich die Fotos von Striesow und dem „echten Kerkeling“ so miteinander vergleiche, finde ich, dass die Macher des Films die Hauptfigur optisch sehr gut besetzt haben. Die sehen sich beide ziemlich ähnlich, so als Pilger.

Bevor es dann losgeht, wird das Hauptthema des Buches hervorgehoben:

Der Weg stellt jedem nur eine Frage:
Wer bist du?

So formuliert und an dieser Stelle im Buch derart exponiert hingeschrieben, werden bei den Lesern große Erwartungen geweckt: Jeder von uns will doch irgendwie erfahren und wissen, wer er ist. Vielleicht helfen Kerkelings Erlebnisse auf der Pilgerreise auch, zu sich selbst zu finden?
Kerkelings Reisebericht erinnert gleich zu Beginn an ein Tagebuch. Das finde ich natürlich sehr spannend, denn neugierig wie ich bin, hoffe ich, einen tieferen Blick in die Erlebnisse und in das Seelenleben eines Promis erhaschen zu können.

Ich bin dann mal wegWie alles begann oder: Warum begibt sich ein Entertainer auf den Jakobsweg?

Auf den ersten Seiten erfahre ich, dass Kerkeling einen körperlichen und seelischen Zusammenbruch hatte, der ihn zum Umdenken zwingt. Er will sich eine Auszeit von seiner Arbeit gönnen und eine Reise unternehmen. Bei der Suche nach einem passenden Reiseziel kommt ihm zufällig (zufällig?!) ein Buch über den „Jakobsweg der Freude“ in die Hände. Obwohl er das Buch „anmaßend“ findet, kauft er es – und liest es in einer Nacht. Das Buch verheißt, durch die Pilgerschaft zu Gott und zu sich selbst zu finden. Dies veranlasst Kerkeling, die ungewöhnliche Reise zu wagen, auch wenn er noch hadert: „Bin ich eigentlich noch ganz dicht?“

Er macht sich also auf den Pilgerweg, fliegt nach Bordeaux und von dort nimmt er die Bahn nach Saint-Jean-Pied-de-Port. Immer noch zweifelnd, das Richtige zu tun, liest er ein Werbeplakat: „Wissen Sie, wer Sie wirklich sind?“ Seine spontane Antwort lautet: „Nein!“ Später liest er die Fortsetzung des Werbeplakates: „Willkommen in der Wirklichkeit.“ Derartige – wie soll ich es nennen? – „Zeichen“ kommen immer mal wieder vor. Kerkeling schreibt darüber, als ob dies ganz normal sei. Ich dagegen denke mir, dass es zu viele Zufälle dieser Art sind. So etwas gibt es doch nicht, oder?

Erkenntnis des Tages: Werde wer du bist

Zu Beginn der Reise bezeichnet Kerkeling sich selbst als „eine Art Buddhist mit christlichem Überbau“, das heißt: als einer, der „auf der spirituellen Suche“ ist. Kerkeling erinnert sich an seine katholische Kindheit und Jugend, während der er bereits auf der Suche nach Gott war und sich mit den Fragen beschäftigte: „Wer ist Gott?“ und „Gibt es Gott wirklich?“. An dieser Suche hat sich bis heute nichts geändert. Nur, dass er heute zunächst einmal fragt: „Wer sucht denn hier eigentlich nach Gott?“ Daraus entwickelt er die erste Erkenntnis des Tages: „Erst mal herausfinden, wer ich selbst bin.“ Ich kann mich mit dieser Position durchaus identifizieren. Denn dies sollten doch Kernfragen eines jeden Menschen sein: „Wer bin ich?“ und „Gibt es einen Gott?“ bzw. „Wer ist Gott?“. Demzufolge verspricht Hape Kerkelings Pilgerbericht inhaltlich tiefschürfend zu werden, denke ich mir hoffnungsvoll.

Eine „Erkenntnis des Tages“ finden die Leser übrigens am Ende eines jeden Tagesberichtes. Darin fasst Kerkeling in einem kurzen Satz zusammen, welche Erkenntnisse und Erleuchtungen ihm die Erlebnisse und seine Gedankengänge während des Pilgerns tagsüber gebracht haben. Auf eine knappe Art und sehr pointiert verdeutlichen sie die Veränderung, die er so nach und nach durchmacht.

Als wäre man selbst unterwegs

Wenn ich ein Buch lese, dann begebe ich mich mit jeder Faser meines Geistes dort hinein. Ich lebe quasi den Inhalt des Buches selbst mit. Vor meinem geistigen Auge „sehe“ ich das, was geschieht, „spüre“ das, was der Autor spürt. So ergeht es mir auch in den ersten Tagesberichten in Kerkelings Buch. Der Autor schreibt sehr ausführlich über seine Erlebnisse, über die Menschen, die er trifft, über die Schmerzen in seinen Füßen und Gelenken, die er vom ungewohnten Wandern hat. Ich spüre mit ihm die totale Erschöpfung am Abend nach einer kilometerlangen Pilgeretappe.
Kerkeling beschreibt auch sehr eindrucksvoll die verschiedenen Landschaften, durch die sein Pilgerweg ihn führt. Gespickt wird das auch immer wieder mit Fotos, die er während seiner Reise gemacht hat. So bekomme ich einen Eindruck von der Schönheit dieses Weges, manchmal auch von der Hässlichkeit und dem Lärm, wenn es an einer vielbefahrenen Fernstraße entlanggeht. Genauso soll es sein, denke ich. Das macht ein gutes Buch aus.

Mit vielen Gedankengängen Kerkelings kann ich mich selbst identifizieren. Einige Charaktere, die Kerkeling während der Reise trifft, kann ich mir sehr gut vorstellen, solchen Menschen bin ich in meinem Leben oft genug begegnet. Sie haben bei mir Ähnliches bewirkt wie bei Kerkeling. Nur so einen schrägen Typen wie den Peruaner Americo habe ich noch nie getroffen. Muss ich auch nicht. Ich glaube sowieso nicht daran, dass es derart mysteriöse Menschen gibt. Der kommt mir irgendwie unwirklich vor. So unecht. Schade, denke ich, durch diese Figur ist das bisher eigentlich gelungene Buch kitschig geworden.

Überhaupt lässt die Qualität der Tagesberichte nach der Hälfte des Buches deutlich nach. Kerkeling bemerkt dies auch selbst: „Die Zeit zum Schreiben finde ich jetzt kaum noch.“ Er beschreibt jetzt nur noch die Abläufe der einzelnen Tage. Tiefschürfende Gedanken finden sich eher selten. Als Leserin bedaure ich das sehr. Auf diese Weise wird aus der Pilgerreise, die auch mich zum Nachdenken über teils philosophisch anmutende Fragestellungen verleitet hat, eine langweilige Aneinanderreihung von Tagesgeschehnissen der harmlosen Art. So verkommt auch die ersehnte Ankunft in Santiago de Compostela, die doch eigentlich der Höhepunkt der Reise – und des Reiseberichtes – werden sollte, zu einer langweiligen Aneinanderreihung von Handlungsabläufen.

Selbstfindung oder Eigenreklame?

Ein wenig unsympathisch kommt Kerkeling zudem daher, wenn er versteckte Reklame für sein Buch und für seine Person macht. Dass er beispielsweise immer mal wieder von anderen Pilgern aus Deutschland erkannt und um ein Autogramm gebeten wird, hätte er nicht so oft und ausführlich erwähnen müssen. Hat er aber, und so frage ich mich, was mir das über den Menschen „Kerkeling“ sagt.
Das Nachwort von Kerkelings Buch ist besonders kitschig. Zum Abschied hat er seinen Pilgerfreundinnen Sheelagh und Anne und sich selbst je ein Pilgerglöckchen geschenkt. Jedes Mal, wenn einer von ihnen dieses läuten hört, sollen die anderen dies spüren. Mehr als ein Jahr nach der Pilgerreise läutet Kerkeling während einer Fernsehsendung in Deutschland sein Glöckchen. Und was für ein Zufall: Die beiden Freundinnen hören es auch – zwar logisch erklärt, aber eben auch ein kitschiger Zufall.

Ein Mehrwert für die Leser?

Welches Fazit lässt sich nun aus diesem Pilgerbericht Kerkelings ziehen? Kein leichtes Unterfangen, hierauf eine Antwort zu finden!

Als vielseitig interessierter Mensch beschäftige ich mich selbstverständlich auch mit existentiellen Fragen wie der nach Gott und nach mir selbst. Aus diesem Grund lese ich auch gerne Bücher, die sich mit genau dieser Thematik beschäftigen. Ein solches Buch schien mir Hape Kerkelings Bericht über seine Pilgerreise nach Santiago de Compostela zu sein.
Anfangs versprach Kerkelings Reise-Tagebuch, genau auf jene oben aufgeführten grundlegenden Fragen, die uns Menschen beschäftigen, eine Antwort versuchen zu wollen. Die erste Hälfte des Buches enthält denn auch Berichte und Beschreibungen, die philosophisch anmuten und den Lesern viel Stoff zum Nachdenken geben. Dadurch wird dieser Reisebericht durchaus lesenswert. Jeder kann sich mit den teilweise philosophischen Äußerungen identifizieren. Dabei schreibt Kerkeling liebenswert, witzig, warmherzig.
Leider rutscht das Buch in der zweiten Hälfte ins Nichtssagende ab. Die Aneinanderreihung von Handlungsabläufen ist einfach nur langweilig, manchmal arg kitschig und auch verrucht esoterisch. Schade!

Auch wenn mein Fazit lautet, dass Kerkelings Pilgerbericht nicht konsequent die großen Erwartungen, die zu Beginn geweckt werden, erfüllt, hat dieses Buch mir doch die Lust bereitet, wenigstens die ein oder andere Etappe des Jakobsweges gehen zu wollen.

Roswitha
Gastautorin

Ich bin dann mal weg. Hape Kerkeling. Piper Verlag. 2015. Erstveröffentlichung: 2006.

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