Hochschauen

von | 20.06.2017 | #litkinder, Kreativlabor, Specials

Morgen ist ein großer Tag in der Entenschule, denn die Küken sollen erzählen, was sie einmal werden möchten. Das bringt Abwechslung in den Unterricht, der sich ansonsten meist ums Fliegen, Schwimmen, Tauchen und die hohe Kunst des Gründelns dreht. Deswegen freuen sich schon jetzt alle besonders darauf, über ihre Zukunftswünsche zu quaken – alle, bis auf das Quakerle, das weiß nämlich noch nicht, was es überhaupt sagen soll. Sein flauschiges Entenbrüstchen ist klamm, ihm ist richtig bang, als es in seinem Nestchen sitzt, überlegt und zu den Baumwipfeln guckt, in denen sich Singvögel tummeln. Und wie es da sitzt und schwitzt, kommt Tantchen Quakhilde geschwommen. „Hallo, liebes Quakerle, was siehst du auch so bedrückt drein?“
„Oh Tantchen, die Hausaufgaben für morgen sind’s“, fiept es traurig. „Die bereiten mir Kummer.“
„Ja was? Dabei magst du die Schule.“ Erstaunt rudert Quakhilde näher zum Nestchen. „Na los, verrate der alten Ente deine Sorgen wegen Morgen.“ Es zögert bloß kurz, dann beichtet das Quakerle seine Ratlosigkeit und je mehr es verrät, desto tiefer und tiefer sinkt sein Herz – ungemachte Hausaufgaben, sowas darf einfach nicht passieren! Tantchen Quakhilde hört hin, nickt hier und da, bevor sie die Flügel streckt und erklärt: „Also, also, Quakerle, das ist nun gewiss kein Problem.“ Sie unterbricht das Geschnatter, deutet um sich herum und lacht sich krumm. „Der Teich ist voller Enten, es wird sich bestimmt ein Vogel finden lassen, der dir als Vorbild dient. Deine Mama vielleicht, oder der Papa, der Quakfritz im Schilf oder die Quakanna beim Flüsschen?“, schlägt das Tantchen vor. „Los, watschle rum, von Ente zu Ente und du wirst sehen, das mit der Zukunft kann dir nicht lange aufs Gemüt gehen.“ Sie klopft dem Sprössling aufs Köpfchen und schwimmt munter von Dannen. Zurück bleibt das Kleine, das, neuen Mut geschöpft, seine Federchen aufplustert und hoffnungsvoll aus dem Nestchen schlüpft.
Zuerst trifft es den Quaktohr, den besten Gründler des Sees, sein Hintergefieder in der Höh, den Rest im seichten Wasser. „Du, Quakthor“, piept das Quakerle kleinlaut über den Gesang der edlen Finken, als der Erpel Luft holt.
„Ja“, erwidert er mürrisch, das Gefieder voller Schlamm. „Was willst du?“
„Ich soll herausfinden, was ich später werden will“, beginnt es scheu und fügt an, nur wegen der Schule würde es den Gründler stören.
„Aha. Und was habe ich damit zu tun?“ Er schüttelt sich heftig, spritzt Dreck und Seebodenmoder umher und das Quakerle weiß sofort, Gründler werden will es nicht so sehr.
„Ach“, seufzt es verlegen, „hat sich erledigt“ und paddelt rasch davon. Nein, nein, denkt es bei sich, dermaßen dreckig will es nimmer sein. „Ohne mich!“
Wenig später da kommt es bei Quakute vorbei, die zupft Schilf, guckt hoch und flötet mit vollem Schnabel: „Oh, Hallo.“
Ohne Umschweife fragt das Quakerle frech: „Was machst du da?“ Die Angesprochene speit und spuckt, damit sie sich ja nicht verschluckt, dann meint sie gelassen: „Ich sammle Halme und Zeugs, für Nester und Futter. Willst du mal anfassen?“ Auch Quakfritz stößt dazu, flattert fidel und gibt liebe Worte an die Mutter hinzu. „Deine Mama soll vorbeischauen, ich hab da ein Bündel für sie. Komm her und wir zeigen es dir.“ Die Neugier geweckt wagt sich das Quakerle ins grüne Versteck, doch nach wenigen Minuten ist ihm klar, mehr als langweiliges Grasen und Sammeln geschieht im Schilfwald nicht.
„Vielen Dank, Quakute, auch dir danke, Quakfritz, aber nun muss ich weiter“, sagt es freundlich lächelnd, bevor es begleitet vom zwitschernden Singsang aufs offene Wasser entschwindet.
Die Strömung wird stärker, je näher es dem Flüsschen kommt, dieses reißt Fische und Steine in den See und manchmal auch Büschel von grün saftigem Klee. Wie Tantchen prophezeite dümpelt Quakanna direkt davor herum und sieht sich nach wertvollem Treibgut um. „Guten Tag, Quakanna“, holt das Kleine aus und sie entgegnet: „Na, wie geht’s dir, kleine Entenmaus? Was siehst du so traurig aus?“
„Mir geht’s gut, Quakanna, bloß etwas plagt mich, wie du merkst“, ächzt es auf den Wasserstrom deutend und fährt fort: „Darf ich dir zusehen beim Verrichten deines Werks?“ Die Entendame stimmt zu und das Quakerle paddelt ans Flussufer, um ihr Gesellschaft zu leisten. Sie zerrt eifrig weiter, treibt ihre Aufräumarbeiten heiter und fördert, man glaubt es nicht, leckere Würmchen und Schnecken ans Licht.
„Nimm dir ein Stück“, bietet sie an und ins Geplätscher des Wassers und des sonnigen Zirpens mischt sich ihr fröhliches Jauchzen. Begeistert schnappt sich das Kleine die dargebotenen Happen, nur werden bald schon seine Füßchen kalt, frieren in der Gletscherschmelze. Kein Bissen der Welt kann diese Eiseskälte wettmachen, nicht mal Quakannas schönes Lachen, also hüstelt das Entchen leise: „Ich ziehe mal weiter auf meiner Reise.“
Der Abend naht und das Nestchen ruft, so geht das Quakerle zur Mutter zurück, die es begrüßt ganz verzückt. „Liebes, da bist du ja!“
„Mama, ich werd‘ noch verrückt“, jammert der Winzling und flüchtet in ihre Schwingen.
„Die Hausaufgaben?“, will sie wissen.
„Ja, die sind total beschi…“
„Quakerle!“, fährt sie ihm dazwischen. Das böse Funkeln ihrer Entenaugen weicht sogleich einem milderen Ausdruck, als sie des Sprösslings Verzweiflung entdeckt. „Na, na“, brummt sie gelind, „Erzähl mir deine Sorgen geschwind.“
Überall sei es gewesen, fängt es bitter an. Ihm scheine es die Zukunft einer kleinen Ente wie ihm, bestünde gerade mal aus Gründeln im Schlamm und Langeweile im Schilf und Frieren am Fluss, das sei der reinste Überdruss. „Wäre ich ein Singvogel“, schwärmt das Quakerle selig entrückt, „das wäre mein größtes Glück!“
„Ein Singvogel?“, erkundigt sich die Henne Mama und nimmt ihr Küken fest in den Arm.
„Ja, ein Vogel der singt und hoch oben im Baum, ihn jagen kann, seinen Traum.“ Wie zum Zeichen des Wohlgefallens pfeift ein winziger Spatz ein Liedchen, da beendet das Quakerle seinen Satz: „Leider bin ich eine Ente und das ist für meine Singkariere schon das Ende.“ Die Mutter streichelt seine kurzen Flügelein, zum Segeln durch die Lüfte taugen sie kaum – ist es wirklich aus mit des Quakerles Traum?
Stunden vergeh’n und der Abend wird zur tiefschwarzen Nacht, in der die Mama plötzlich erwacht. Eine Idee war ihr im Schlaf gekommen und sie hat sie weitergesponnen, sodass es ihr keinesfalls gelingt, das Quakerle bis zum Morgen in Unwissenheit zu belassen. „Quakerle“, flüstert sie in freudiger Aufregung. „Liebes, werd‘ wach, ich weiß wie du’s machst!“
„Mama?“ Es plustert sich gähnend zur flauschigen Kugel. „Ist bereits Morgen?“
„Nein, ich lass dich gleich schlafen, will dir rasch berichten von den Gedanken, die mich im Schlummer trafen.“ Müde, dennoch voller Interesse, richtet sich das Quakerle auf und lauscht ganz gespannt, was sie schnattert, die Mama im hübsch-braunen Federgewand. „Keiner, weder Geflügel, Fisch noch nächtliche Schemen haben dir verboten, dir statt Erpel und Ente nicht einen Singvogel zum Vorbild nehmen.“
„Das ist richtig“, piept das Entchen nachdenklich und die Mutter erläutert: „Quakerle, ob du eines Tages hoch oben in Baumkronen singen und wohnen wirst, das, mein liebes Entenkind, ja das liegt alleine an dir.“
„Aber ich kann nicht singen“, quietscht es händeringend. „Jeder Ton ist schief, krächzend, rostig, viel zu tief!“
„Oh Quakerle, das liegt ganz einfach daran, dass du zwitschern willst wie ein Singvogel, anstelle davon, nach Kräften zu quaken wie nur eine Ente das kann.“
„Wie soll ich denn Singvogel sein, wenn ich kein Singvogel werde?“, fragt es verwirrt, gerade als eine Libelle zwischen ihm und der Mama hindurchschwirrt.
„Ein Vorbild ist keineswegs eine Schablone, vielmehr ein Wegweiser, der dir deinen ganz eigenen Pfad zeigt. Der Rest der Arbeit liegt an dir, es geht nicht ohne.“ Da endlich versteht das Quakerle, seine Zukunft ist offen, es darf sich freuen und hoffen. Wenn es seine Richtung wählt, Ziele sucht, findet und verfolgt, seinen Willen stählt, wäre ihm das Singentenglück hold.

Rahel Meister (Clue Writing, www.cluewriting.de)

Illustrationen: Geschichtenzeichnerin Celina (Küken), Buchstaplerin Maike

Ein Beitrag zum Projekt #litkinder. Hier findet ihr alle Beiträge.

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