„Ob ich je mein Bafög zurückzahlen kann?“ „Bin ich glücklich?“ „Sieht mein Busen in diesem Top komisch aus?“ „Was mache ich nur aus meinem Leben?“ Auf diese und viele weitere Fragen – letztere stellt sich ein Embryo bereits im Mutterleib – möchte die Illustratorin Gemma Correll in „Kein Morgen ohne Sorgen“ ganz sicher keine Antwort liefern. Umsonst ist die Lektüre dennoch nicht. – Von Erzähldetektivin Annette
Es ist nicht leicht, eine Frau zu sein (oder eine Kunststudentin)
Frauen haben es nicht leicht: Ein Körper voller Problemzonen, Druck durch gesellschaftliche Schönheitskonventionen und nie sehen sie auf Fotos gut aus! Nicht zu vergessen, diese furchtbare Zeit jeden Monat, die eine Mischung aus Eiscreme, Katzen und Schmerztabletten erfordert. Gemma Correll kennt sich mit diesen Problemen bestens aus. Sie weiß auch, wie sich Absolventen der künstlerischen – nach Belieben ersetzbar mit geisteswissenschaftlichen, literarischen oder sprachwissenschaftlichen – Studienfächer fühlen und kennt die generelle Verzweiflung der zukunfts- und chancenlosen Generation Y.
Gemma ist Anfang dreißig und eine Illustratorin, Cartoonistin und Autorin aus dem beschaulichen England. Sie studierte Graphic Design mit dem Schwerpunkt Illustration an einer Kunsthochschule in Norwich und erwarb einen entsprechenden Bachelor. Als freischaffende Künstlerin veröffentlicht sie ihre Arbeiten unter anderem bei der New York Times, der Oxford University Press, Chronicle Books oder dem Observer. Gemma mag Tiere (am liebsten Möpse), Pizza und bequeme Kleidung. Außerdem ist sie ganz sicher kein Party-Mensch, liest dafür liebend gerne und verbringt viel Zeit mit Netflix und Co. Sie ist eben genau wie du und ich.
Entsprechend versammelt ihr Werk „Kein Morgen ohne Sorgen – Handbuch für Verzweifelte“ auf knapp 100 Seiten Cartoons und Zeichnungen zu all den Themen, die unseren Alltag so schwierig machen. Noch bevor wir tatsächlich auf die Welt kommen, machen wir uns bereits Sorgen über unsere Zukunft: „Ob sich alle kaputtlachen, wenn sie mich zu sehen kriegen?“ Unsere Kindheit wird von einer allwissenden Mutter bestimmt: „Du holst dir garantiert den Tod, wenn du mit nassen Haaren rausgehst.“ Ständig müssen wir uns mit gesellschaftlichen Schönheitsidealen auseinandersetzen und sehen doch niemals gut genug aus, mit unserem Tublr-Hintern, dem zu haarigen Haar und unseren Beulenschenkeln.
„Seelenbalsam für echte Angstneurotiker“
Da ist es kaum verwunderlich, dass wir zu Hypochondrie neigen und leichte Kopfschmerzen auch schon mal zum Tode führen können. Natürlich halten uns all die Probleme dieser Welt nachts vom Schlafen ab: „Erderwärmung etc.“, „Steuern“, „Verstopfte Nebenhöhlen“, „Haustiere und/oder Kinder“ und nicht zu vergessen „Diese Sache, die du vor vier Jahren verbockt hast“. Zur Stressbewältigung versuchen wir uns an Yoga, Fitness oder Meditation – und landen schlussendlich doch wieder bei einer heißen Tasse Tee und einem befreienden Gespräch mit Miezi.
In den sieben Kapiteln „Wellness für Hypochonder“, „Modewahn“, „Menü der Angst“, „Liebe und anderer Kummer“, „Kein Morgen ohne Sorgen“, „Fiese Feiertage“ und „Moderne Malaisen“ durchlebt die sehr an Gemma Correll erinnernde Hauptfigur alle Höhen und Tiefen – okay, zugegebenermaßen mehr Tiefen als Höhen – des täglichen Lebens. Diesen begegnet sie auf so ehrliche Weise, dass eine Lektüre durchaus befreiend wirken kann. Wer sich selbst in den beschriebenen Situationen wiederfindet, dem kann Corrells Comic zum Seelenbalsam werden.
„Wir streicheln und wir essen sie“
Leider besteht für mich als Vertreterin von Tierrechten ein großes Problem beim Umgang des Buches mit Tieren. Beim derzeitigen Stand der Gesellschaft lässt sich nicht erwarten, dass Fleischkonsum in der Populärkultur keine Rolle mehr spielt. Aber muss denn eine Aufteilung des Sparschweins in Filettücke à la „gähnende Leere“, „Pustekuchen“ oder „rein gar nichts“ das Sinnbild für die leeren Haushaltskassen junger Menschen sein? Muss ausgerechnet eine Hähnchenkeule für eine absurde Körperform-Bezeichnung herangezogen werden? Muss es eine tote Ratte sein, die sich über die Fashion-Besessenheit mancher Menschen lustig macht?
Zugegeben, zahlenmäßig gehen die Beispiele in der Masse an Bildern vielleicht unter. Doch zieht sich die Liebe zu „niedlichen“ Tieren prominent durch das gesamte Buch. Wenn es auch ein zutreffendes Klischee sein dürfte, dass viele jungen Frauen begeistert sind von Katzen und Hunden – „Kein Morgen ohne Sorgen“ verdeutlicht die unüberlegte Ambivalenz unserer Gesellschaft gegenüber Haus- und Nutztieren: „Wir streicheln und wir essen sie“.
Einigen Lesern mag diese Kritik sehr kleinkariert und am Thema vorbei vorkommen. Wer so empfindet, dem sei Gemma Corrells „Kein Morgen ohne Sorgen“ wärmstens ans Herz gelegt. Kann über die herabwürdigende Darstellung von Tieren hinweggesehen werden, vermögen es Corrells Zeichnungen, eine fast schon therapeutische Wirkung auf ihre Leser zu entfalten. Die Haupterkenntnis des Buches lautet ganz klar: „Wir alle haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Nobody’s perfect.“ Letztendlich gilt dies wohl auch für dieses Werk.
Kein Morgen ohne Sorgen – Handbuch für Verzweifelte. Gemma Correll. Aus dem Englischen von Ruth Keen. Kunstmann Verlag. 2016.
Mehr über Gemma Correll und ihre Arbeiten:
- Homepage: www.gemmacorrell.com
- Blog: www.gemma-correll.blogspot.de
- Tumblr: www.gemmacorrell.tumblr.com
- Twitter: twitter.com/gemmacorrell
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