Hagel und Granaten: 50 Jahre Abenteuergeschichten

von | 09.12.2017 | Buchpranger, Graphic Novels, Comics, Manga

1967 fing Carlsen an, das französischsprachige Original „Les aventures de Tintin“ von Hergé in Deutsch unter dem Namen „Tim und Struppi“ zu verlegen. Heute kennen viele begeisterte Leser und Leserinnen die zahllosen Abenteuer von Tim und seinen Freunden. Geschichtenzeichnerin Celina geht diesen Abenteuergeschichten und ihren Ursprüngen auf den Grund.

Im Jahr 1929 erscheinen in Belgien zum ersten Mal die Comicfiguren Tim und Struppi. Von 1929 bis 1930 entsteht die wöchentliche Fortsetzungsgeschichte, welche später unter dem Titel „Tim im Lande der Sowjets“ als erstes Comicheft von Hergé zusammengefasst wurde. Hergé arbeitete damals für die Zeitschrift „Le Petit Vingtième“, die erzkatholisch geprägt ist, vor allem durch ihren Chefredakteur. In dieser Zeitschrift gestaltet Hergé die Kinderbeilage, die sich einer wachsenden Leserschaft erfreut. Daraufhin folgen die Comics „Tim im Kongo“ von 1930 und 1931 „Tim in Amerika“.

Heute sieht man allerdings, dass diese Comicanfänge aus der katholischen, konservativen und unaufgeklärten Sicht heraus dargestellt wurden. Hergé war unter anderem nie im Kongo gewesen und hat sich daher daran orientiert, was die Kolonialisten ihm erzählten. In der Arte-Dokumentation „Auf Reisen mit Tim und Struppi“ sagt er offen, dass diese anfänglichen Werke rassistisch sind, aber unwissentlich. Es war von ihm aus nicht abwertend gemeint. Er habe das damals gängige Bild in Szene gesetzt. Zu jener Zeit war man davon überzeugt, dass beispielsweise die im Kongo lebenden Menschen faul und dumm wären sowie erst durch die Kolonialisten aufgeklärt werden mussten. Hergé hat auch im Nachhinein einige Passagen verändert, aber schließlich ist es schwer, alles politisch korrekt anzupassen. Dafür hätten seine ersten drei Comichefte neu gezeichnet werden müssen. Aber das wäre viel zu aufwendig gewesen.

So erscheint Tim im Kongo als Wildtierjäger, dem es Spaß macht, die dortigen Tiere zu töten und als jemand, der missionarisch auch mal Einheimische belehrt. Eben aus Hergés Zeit heraus. Erst zum vierten Heft hin schafft es Hergé, sich aus den Klauen der Le Petit Vingtième zu befreien. Von nun an entwickelt er die Hefte nach eigenen Vorstellungen weiter.

Es entstanden insgesamt 24 Comic-Alben. Den geplanten 25. Band „Tim und die Alpha-Kunst“ konnte Hergé nicht fertigstellen, da er vorher verstarb. Vor seinem Tod verfügte er noch, dass nach seinem Ableben niemand je wieder eine neu Tim und Struppi-Geschichte veröffentlichen darf.

Der Comiczeichner Hergé

Der Belgier Georges Prosper Remi, der sich später Hergé nennt, lebte von 1907 bis 1983. Von 1929 bis zu seinem Lebensende schrieb und zeichnete er humoristische Abenteuercomics. Vor allem wurde er bekannt mit „Tim und Struppi“. Die Abhängigkeit und Belastung dazu war für Hergé teilweise so groß, dass er zwischenzeitig sogar in Depressionen verfiel. Kein Wunder: Er zeichnete an seinen Comics bis zu 12 Stunden am Tag. Hin und wieder hatte er das Gefühl von Tim und dessen Freunden derart abhängig zu sein, dass er sich selbst als Sklave dieser karikierte. Wie beispielsweise hier zu sehen ist.

Weltbekannte Charaktere

Tim und sein Wegbegleiter Struppi sind die ersten Charaktere, die Hergé erschuf. Bei Tims Charakter orientierte sich der Comicschöpfer an Pfadfindern, welche ihm bestens vertraut waren, da er selbst mal einer gewesen war. Tims rundes Gesicht, die vielfach hochgezogenen Augenbrauen, wodurch er oft erstaunt dreinblickt und die markante Haartolle, zeichnen seine Kontur aus. Mit seiner recht vereinfachten äußerlichen Gestalt kann sich jeder gut mit ihm identifizieren. Sein Hund Struppi, ein kleiner Drahthaar-Foxterrier begleitet ihn auf jeder seiner abenteuerlichen Missionen. Bemerkenswert ist, dass Hergé Struppi per Sprechblasen eine Stimme verliehen hat, welche zwar die Leser, aber die menschlichen Charaktere im Comic selbst nicht wahrnehmen können.

Zwischen dem 8. Dezember 1932 und dem 8. Februar 1934 erscheint noch in Schwarz-Weiß „Tintin en Orient“, zu Deutsch „Die Zigarren des Pharaos“. Dies veröffentlichte nun die Zeitung „Le Petit Vingtième“. In diesem vierten Werk, welches 1955 als farbige Albumausgabe erschien, kann Hergé die Geschichten und ihre Charaktere freier gestalten. Er beginnt auch neue Figuren in die Comicwelt zu etablieren. So erscheinen hier zum ersten Mal die beiden tollpatschigen Polizeiinspektoren Schulze und Schutze sowie Tims Erzfeind Rastopopoulos.

Ein Wendepunkt entsteht ganz und gar in „Der blaue Lotus“, welcher 1934 das erste Mal erschien. Hergé freundet sich mit dem chinesischen Künstler Tschang an, wie Tim mit einem gleichnamigen Jungen im Comic. Von da an steht eine kulturspezifische Darstellung und somit ein noch höherer Realitätsbezug im Vordergrund. Er lässt sich von der chinesischen Maltradition beeinflussen, in dem er zum Beispiel mehr Ruhemomente mit einbezieht. Die Comics sind nun etwas politischer, da Hergé dem Kolonialismus kritischer gegenüber steht.

Weiterhin hat in „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ von 1940 Trunkenbold und Schimpfwortfanatiker Kapitän Haddock sein Debüt. Dieser geniale und in jedes Fettnäpfchen tretende Charakter wird Tim ein Freund und begleitet ihn von da an durch alle weiter folgenden Abenteuer.

Erforschung und Erkundung der Welt

Hergés Inspirationen für seine Abenteuergeschichten sind weitläufig und erstrecken sich über vielerlei Thematiken. Beispielweise ist für den Comic „Die Zigarren des Pharaos“ das 12 Jahre zuvor entdeckte Grab des Pharao Tutanchamun ein wichtiger Bezugspunkt.

Aber auch visionäre Ereignisse nehmen in den Comics Form an. So wird eine detaillierte Expedition zum Mond in den Comics „Reiseziel Mond“ von 1953 und „Schritte auf dem Mond“ von 1954 von Hergé inszeniert und beeindruckend realistisch umgesetzt. Dies geschah bereits vier Jahre vor Sputnik 1 und 16 Jahre bevor Neil Armstrong auf dem Mond landete. Für diese Bände holte sich Hergé das erste Mal Unterstützung. Hatte er zuvor noch alle Comics alleine realisiert, ist nun ein kleines Team, welches wie ein kleines Studio gesehen werden kann, mit ihm von der Partie.

Über die Jahre hinweg ist zu sehen, dass die Tim-und-Struppi-Comics eine bemerkenswerte Entwicklung durchlebt haben. Man hat das Gefühl, dass Hergé mit seinen Figuren zusammen Stück für Stück die Welt und einiges darüber hinaus entdeckt hat. Seine Figuren und sein Stil haben sich immer weiter herausgebildet.

Ein beeindruckender Stil

Hergé gilt als einer der Wegbereiter für viele nachfolgenden Comickünstler. Zu jener Zeit war seine Art der Bildsprache und Comicgestaltung revolutionär. Neu war die Line clair: Die Figuren mit klaren Strichen zu zeichnen. Weiterhin war erstmalig, die Figuren ohne Schatten in detaillierte Hintergründe zu setzten. Auch die gestaltete Dynamik und Bewegung in den Panels ist beachtlich. Hergé erfindet eine universelle Bildsprache, bei der er sich von den Stummfilmen und deren Slapstick hatte inspirieren lassen.

Die Comics von Tim und Struppi erscheinen als Serie. Es gibt immer wieder Rückbezüge auf andere Hefte, aber nur kleine Anmerkungen, welche die Neugier auf diese wecken. Trotzdem kann jedes Comicheft als eigenständige Geschichte gelesen werden. Außer die Paare, welche direkte als Fortsetzungsgeschichte angelegt sind, wie „Die sieben Kristallkugeln“ von 1947 und „Der Sonnentempel“ von 1949.

In den Heften bleibt es von Anfang an bis zum Ende spannend. Vielfach sind die Comics wie Detektivgeschichten angelegt, sodass meist am Ende eine Lösung des Rätsels präsentiert wird. Aber auch fantastische Momente, die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen sowie die witzigen Pointen kommen zu einem stilistischen Meisterwerk zusammen. Ebenfalls kommt es zum Einsatz von Running-Gags, beispielsweise wenn der schwerhörige Professor Bienlein in einem Comic alles falsch versteht.
In allen Heften erscheint ein ausgeklügeltes und gut durchdachtes Zusammenspiel der Charaktere.

Der Carlsen Verlag feiert

Schon zuvor erschien „Les aventures de Tintin“ auf Deutsch. Wie die erstmalige Übersetzung von 1952 bis 1971 im Hamburger Abendblatt oder die vom belgischen Originalverlag Casterman. Seit 1967 erscheinen nun die farbigen Softcover-Alben beim Carlsen Verlag. Diesjährig wird somit bei Carlsen 50-jähriges Jubiläum gefeiert. Dazu brachte Carlsen eine in Hardcover gebundene Gesamtausgabe heraus, die 199€ kostet.

Tim und Struppi: Eine Kindheitserinnerung

Über die Jahre hinweg schuf Hergé mit Tim und Struppi zeitlose Werke. Einmal als Kind gesehen, sind sie ebenfalls im Erwachsenenalter eine Augenweide. Dazu tragen auch die bereits von 1991 bis 1993 produzierte 39-teilige französisch-kanadische Fernsehserie und die Zeichentrick-Kinofilme „Tim und Struppi im Sonnentempel“ von 1969 und „Tim und Struppi und der Haifischsee“ von 1972 bei. Hinzu kommt der von Steven Spielberg Regie geführte, computeranimierte Film „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ von 2011. Ob im Comic, Fernsehen oder Kino: Die Abenteuergeschichten von Tim und Struppi bereiten jeder Altersstufe immer wieder Freude.

23 Tim und Struppi Softcover-Comics auf Deutsch bei Carlsen:

1. Tim im Kongo
2. Tim in Amerika
3. Die Zigarren des Pharaos
4. Der Blaue Lotos
5. Der Arumbaya-Fetisch
6. Die schwarze Insel
7. König Ottokars Zepter
8. Die Krabbe mit den goldenen Scheren
9. Der geheimnisvolle Stern
10. Das Geheimnis der „Einhorn“
11. Der Schatz Rackhams des Roten
12. Die sieben Kristallkugeln
13. Der Sonnentempel
14. Im Reiche des Schwarzen Goldes
15. Reiseziel Mond
16. Schritte auf dem Mond
17. Der Fall Bienlein
18. Kohle an Bord
19. Tim in Tibet
20. Die Juwelen der Sängerin
21. Flug 714 nach Sydney
22. Tim und die Picaros
23. Tim und der Haifischsee (Comic zum Zeichentrickfilm)

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