Ein bildschönes Krokodil

von | 12.11.2017 | Belletristik, Buchpranger

Unsichtbar sein, fliegen können, Geld aus dem Nichts erschaffen. Das sind die Träume vieler Menschen. Was, wenn es tatsächlich Menschen gäbe, die das könnten? Mitten unter uns. Zauberer. Nein, nicht Harry Potter und Co. Zeilenschwimmerin Ronja hat „Das Glück des Zauberers“ von Sten Nadolny gelesen.

Zauberer verraten niemals ihre Geheimnisse an Außenstehende. Kaum jemand außer den Zauberern selbst darf wissen, dass Zauberei existiert. Pahroc hat ein langes Leben hinter sich und Fähigkeiten erlangt, von denen viele nur träumen. Er kann durch Wände gehen, fliegen, Bücher in Sekunden lesen und vieles mehr. In Briefen gibt er sein Wissen und seine Weisheit an seine Enkeltochter weiter.

Natürlich gibt es keine Hinweise darauf, wie man es nun schafft, durch Wände zu gehen oder unsichtbar zu werden. Die Zaubergemeinschaft hätte sonst sicher nie zugelassen, dass die Briefe veröffentlicht werden. Dafür enthalten die Briefe Lebenserkenntnisse, die auch allgemeingültig sein können. Pahroc erzählt nicht nur von der Zauberei, er erzählt auch seine Lebensgeschichte. Auch wenn es im Ansatz ein wenig an den Hundertjährigen (den, der aus dem Fenster stieg und verschwand) erinnert, geht „Das Glück des Zauberers“ einen anderen, deutlich ernsteren und weniger abstrusen Weg – trotz der Zauberei. Es fliegt viel weniger in die Luft und Zauberer sind im Allgemeinen gegen Gewalt, vor allem gegen das Töten.

„Guten Morgen, Herr Schlosseck!“
„Hallo Pahroc“, antwortete das Krokodil und ließ eine Menge Zähne sehen. „Du sieht heute irgendwie appetitlich aus.“ […]
„Sie sind ein bildschönes Krokodil, Herr Schlosseck, meine Hochachtung!“
Da schmunzelte er. Es ist unglaublich, an wie viel Stellen seines riesigen Mauls ein Krokodil gleichzeitig schmunzeln kann. (S. 43)

Auf der einen Seite kann die Zauberei als real innerhalb der erzählten Welt angesehen werden. Gleichzeitig lässt sie sich aber auch als Sinnbild verstehen. Jede Fähigkeit, die Pahroc lernt, ist ihm erst zu einem gewissen Zeitpunkt in seinem Leben zugänglich. So stellt sich beispielweise die Kunst, Geld aus dem Nichts zu erschaffen, erst ein, als seine Kinder beinahe für sich selbst sorgen können und die Not nicht mehr so groß ist. Dabei sind die mahnenden Worte Pahrocs manchmal zu belehrend und dürften daher weder seine junge Enkelin noch die LeserInnen nachhaltig beeinflussen. Gleichzeitig stecken viele Beobachtungen in diesem Briefroman, die durchaus zum Nachdenken anregen können.

Ob nun als Parabel oder als phantastische Geschichte, „Das Glück des Zauberers“ funktioniert für beide Lesarten. Ein unterhaltsamer und nachdenklicher Lesegenuss.

Das Glück des Zauberers. Sten Nadolny. Piper. 2017. Erhältlich in der Buchhandlung eures Vertrauens.

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