Die Zukunft auf Knopfdruck

von | 08.03.2017 | Belletristik, Buchpranger

Schon der Titel „Ab morgen ein Leben lang“ verspricht seichte Unterhaltung. Warum Gregory Sherls Roman mehr als das auch nicht ist, hat Worteweberin Annika nachgelesen.

Wir befinden uns einige Jahre in der Zukunft: Eine neue Technologie wurde entwickelt, mit der ein Blick in die Zukunft möglich wird – wohlgemerkt nur in die romantische Zukunft. Das sind die sogenannten Vergegenwärtigungen. Evelyn steht kurz davor, süchtig nach dieser Technik zu werden. Ständig überprüft sie die Männer in ihrem Bekanntenkreis darauf, ob mit ihnen eine glückliche Zukunft bevorstehen könnte. Die Beziehung mit ihrem (noch) Freund Adam scheint laut Vergegenwärtigung auf einen Streit über Käse und Hawaiihemden hinauszulaufen. Grund genug für Evelyn, Schluss zu machen.

Dagegen scheint es, dass sich die Zufallsbekanntschaft Godfrey als deutlich vielversprechender entpuppen könnte. Der jedoch kommt in die Vergegenwärtigungspraxis, um sich die Zukunft mit seiner (noch) Verlobten voraussagen zu lassen. Auch diese Beziehung kriselt, sodass Gregory eine Vergegenwärtigung und einen Streit später vor Evelyns Wohnung steht und Steinchen gegen ihr Fenster wirft. Vielleicht ist das der Beginn einer wunderbaren Zukunft. Aber: Im Falle von „wahrer Liebe“ kann es zu Systemfehlern kommen – und natürlich läuft auch bei Evelyn und Gregory nicht direkt alles rund.

Die Figuren in Sherls Roman lassen sich sehr schnell beschreiben: Evelyn zeichnet sich dadurch aus, dass sie in einer Bibliothek arbeitet, deswegen schlaue Sprüche zitiert (mit denen sie den Roman versuchsweise im Anspruch verankern soll). Außerdem steht sie im Schatten ihrer toten Schwester. Natürlich hat sie eine sehr lustige Freundin, deren zweiter Charakterzug darin besteht, dass sie gerne klaut. Und Gregory ist vergesslich und hat Angst, so animalisch zu sein wie sein leiblicher Vater. Das alles ist eindimensional, oberflächlich und vorhersehbar. Und zu guter Letzt verlieben sich auch noch die beiden Verlassenen ineinander und finden so ihr Glück, natürlich. Diese Kritikpunkte bedienen andererseits genau das, was viele LeserInnen wahrscheinlich von romantischer Unterhaltungsliteratur erwarten. Wenn man sich darauf einlässt und vermeidet, zu viel über die Handlung nachzudenken, ist „Ab morgen ein Leben lang“ unterhaltsam.

Die Vorstellung, praktisch per Knopfdruck in die Zukunft sehen zu können, ist ein spannendes Gedankenexperiment. Würde man wirklich wissen wollen, was einer Beziehung noch bevorsteht oder verschenkte Gelegenheiten im Nachhinein überprüfen wollen? Wagt man den Blick in die Zukunft? Und wie verändert sich die Zukunft, wenn man schon heute von ihr weiß? All das sind philosophische Fragen, die beim Lesen ausgelöst werden können, vom Roman aber eigentlich kaum gestellt werden. So bieten sich zwei Wege an, „Ab morgen ein Leben lang“ zu lesen: einzig als kitschige Liebesgeschichte, oder eher als Futter für tiefer gehende Überlegungen.

Ab morgen ein Leben lang. Gregory Sherl. Übersetzung: Stefanie Jacobs & Simone Jakob. Dumont. 2014.

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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