Die Geschichte von Herrn Sommer

von | 12.08.2013 | Belletristik, Buchpranger

„Nirgendwo ist der, der überall ist.“

*Klick* amazon.de; Cover © Diogenes

DIE GESCHICHTE VON HERRN SOMMER, geschrieben von Patrick Süskind, ist eine besondere Geschichte. Sie erzählt mit einer ungewöhnlichen Leichtigkeit, mit Witz und Humor über das Leben, vor allem aber über den seltsamen Mann namens Herr Sommer. Dabei spielt er noch nicht einmal die Hauptrolle in der Geschichte, ist stets im Hintergrund des Ich-Erzählers, der von sich und seinem Leben erzählt und sich des Öfteren fragt: wer ist eigentlich Herr Sommer? Und warum ist er ständig in Wanderschaft?

Das Buch beginnt mit dem Fliegen: „Zu der Zeit, da ich noch auf Bäume kletterte…“ Früher einmal, vor vielen Jahren und Jahrzehnten, als der Ich-Erzähler noch jung war, nur ein wenig über einen Meter groß maß und Schuhgröße achtundzwanzig hatte, da war er so leicht, dass er fliegen konnte. Vor allem, wenn der Wind aufkam und ihn mit sich riss… doch warum spricht er seitenlang vom Fliegen? Eigentlich will er die Geschichte vom Herrn Sommer erzählen. Also beginnt der Ich-Erzähler, nachdem er so weit abgeschweift ist und über das Fliegen, Galileo Galilei und dessen Fallgesetz gesprochen hat, nochmal von vorn: „Zu der Zeit, da ich noch auf Bäume kletterte…“

Locker leicht schreibt der Autor über einen kleinen Jungen, der wie alle anderen Kinder im Dorf, zur Schule geht, wie er sich zum ersten Mal verliebt, Fahrrad fahren lernt und Klavierunterricht bekommt. Besonders die Klavierstunden prägen ihn. Jedes Mal, wenn er ein Stück fehlerfrei vorspielt, erhält er von der Mutter der Klavierlehrerin einen Keks. Die Mutter ist eine gebrechliche, alte Frau, die stets in ihrem Sessel sitzt und dem Jungen mit zitternden Fingern einen Keks hinhält, sobald er sich ihr genähert hat. Spielt er jedoch auch nur einen falschen Ton, beginnt die Lehrerin zu schreien und droht ihm: sollte er diesen einen Fehler noch einmal machen, würde er es bitter bereuen. Der Ich-Erzähler, der kleine Junge, eingeschüchtert von seiner tobenden Lehrerin, versucht es noch einmal und konzentriert sich so sehr darauf, den Fehler nicht zu machen, dass er ihn schließlich doch macht…

Der Druck der Schule wird hier besonders deutlich und zeigt dem Leser, dass man wirklich nur dann lernt, wenn man es freiwillig und gerne macht. Dabei ist der Ich-Erzähler so wissbegierig! Ständig fragt er sich, was es mit Herrn Sommer auf sich hat und warum dieser sich so seltsam verhält. Ob er wohl unter Klaustrophobie leidet? Vielleicht läuft er immer davon, um jemandem aus dem Weg zu gehen? Doch vor wem sollte er davon laufen? Und warum ist er immer so in Eile? Immer, wenn ihn jemand anspricht, redet er so schnell und undeutlich, dass man nur noch Wortfetzen wie „keine Zeit“ versteht, und im nächsten Augenblick ist Herr Sommer schon wieder verschwunden. Mit seinem Verhalten erinnert er so manchen Leser an die heutige Zeit, in der immer mehr Menschen in Arbeitswahn verfallen, ständig in Eile sind und niemals Zeit haben. Schnell und rastlos wie Herr Sommer.

„Nirgendwo ist der, der überall ist“, lautet ein Zitat von Seneca und beschreibt die Aussage des Buches wohl am besten. Denn obwohl Herr Sommer ständig unterwegs ist, gibt es niemanden, mit dem er in Beziehung steht, niemanden, der ihn zu Hause oder andernorts erwartet. Denn er verweilt nie lange an einem Ort. Aus fehlender Bindungsfähigkeit? Wer weiß…

„Die Geschichte von Herrn Sommer“ ist also eine wahrlich besondere Geschichte. Eine interessante, witzige, lehrreiche. Über das Bestehen und Vergehen, über die Ruhe und Rastlosigkeit – in einer längst vergangenen Zeit, die übertrumpft wird von der Schnelligkeit der heutigen Zeit. Unterstützt wird der Text mit Bildern von Sempe, einem französischen Zeichner und Karikaturisten, der 2008 mit dem internationalen Kunstpreis „e.o.plauen Preis“ ausgezeichnet wurde. Auch für „Das Geheimnis des Fahrradhändlers“ arbeitete er mit Patrick Süskind zusammen. Dieser ist mit seinem Roman „Das Parfüm“ (1985) weltbekannt geworden.

Alexa

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