Das Feuer in unserer Mitte – eine kleine Philosophie der Freundschaft

von | 16.02.2018 | #philosophiestadt, Kreativlabor, Specials

Wir sitzen am Feuer.
Nicht jede Freundschaft beginnt so. Aber das Bild passt auch zu jenen Begegnungen, die einen ganz anderen Anfang und Verlauf nehmen: Wir spüren, dass es zwischen uns etwas gibt, was uns gemeinsam wärmt, was leuchtet, aufflackert oder zu ersticken droht, wenn wir nicht achtsam umgehen mit der Glut in unserer Mitte. Einer legt noch ein Stück Holz nach. Eine andere entfacht mit ihrem Atem die Flammen neu. Wir bringen etwas ein und lassen zugleich etwas geschehen, was nicht allein in unserer Hand liegt. Balance ist nötig beim Geben und Nehmen, beim Tun und Lassen.
Und das Feuer ist wie ein Spiegel, der von dieser Balance erzählt.
Es gibt Nächte, da wollen wir die Stunden am Feuer nicht enden lassen. Wir wollen dichter zusammenrücken, um nicht zu frieren. Manchmal schweigen wir lange und lauschen in die Dunkelheit hinein. Wir sehen nicht viel, aber wir nehmen mit allen Sinnen wahr, wie wir nicht nur aufeinander bezogen leben. Hier im Freien ist kein abgeschlossener Raum um uns herum. Wir sind umfangen von einer lebendigen Schöpfung: Der Ruf des Käuzchens lässt uns still werden und lauschen. Wir spüren den kühlen Wind auf unserer Haut. Unsere Füße kommen im feuchten Gras zur Ruhe und unsere Augen staunen über die funkelnden Sterne am grenzenlos wirkenden Himmel.
Auch unsere Augen funkeln im Schein des Feuers, wenn wir einander ansehen.
Vertraute Gesichter verändern sich. Was lange Maske war, schwindet. Verborgenes traut sich ins Dämmerlicht, darf unscharf bleiben und muss nicht alle Geheimnisse preisgeben.
In solchen Stunden fällt all das Laute und Geschäftige des Tages von uns ab. Wir fangen an, uns Geschichten zu erzählen, hören einander aufmerksam zu, erleben die Nacht als einen Schutzraum für alles, was Verletzungen fürchtet und sind doch ehrlich im Reden wie im Schweigen.
Weil die Wahrnehmung am Feuer feiner wird, tritt manches gerade in der Dunkelheit umso deutlicher zutage. Die Stimmen werden leiser und sagen doch mehr als all das Getöse, das uns am Tage eher trennt als verbindet.
Der Platz am Feuer ist keine Bühne für Selbstdarsteller. Es ist der Ort für jene Menschen, die sich auf eine gemeinsame Mitte einlassen, die Elementares miteinander teilen mögen, zugleich aber auch um die nötige Spannung wissen zwischen Nähe und Distanz, Vertrauen und Respekt, Geborgenheit und Gefahr. Zuwendung, die nicht bedrängt, und entspanntes Schweigen sind hier mehr gefragt als strahlende Posen von Macht und Überlegenheit.

Und auch das Auseinandergehen gehört dazu.
Keine Nacht ist endlos und kein Feuer brennt wie von allein für immer weiter. Es gibt das Gefühl der Ermüdung, das Bedürfnis, sich zurück zu ziehen, Dinge auf sich beruhen zu lassen und einen Punkt hinter eine Geschichte zu setzen. Es gibt ein Frösteln, das auch bei intensiver Nähe nicht verschwinden will.
Dann lassen Freunde einander ihrer Wege gehen, vertrauen darauf, dass Abstand nicht Trennung bedeutet. Ahnen, dass Tage und Nächte kommen werden, die wieder zueinander führen. Weil wir das Verbindende zwischen uns erfahren haben. Weil uns Erinnerungen bleiben und der Mut zum Neuanfang von diesen Erinnerungen angefeuert wird.

Nein, nicht jede Freundschaft beginnt am Lagerfeuer.
Viele Beziehungen erleben niemals den Zauber solcher Nachtstunden, bewähren sich jedoch im Alltag auf erstaunliche Weise und können unverhofft zum Knistern gebracht werden.
Vielleicht glüht in jeder Freundschaft wenigstens ein Funke, ein Funke, der erlöschen und wieder aufflackern kann, ein Funke der manchmal einen langen Atem braucht, Behutsamkeit und eine feine Wahrnehmung für das, was um eine gemeinsame Mitte herum möglich ist, was ans Licht kommen oder Geheimnis bleiben will, was wärmt und lange Dunkelheiten überdauert.
Nicht immer muss gleich ein Lagerfeuer dazu gehören.
Aber es hilft dabei, der Freundschaft einen besonderen Raum zu schenken: unter freiem Himmel. Mit offenen Sinnen. Durch leise Geschichten. Im wechselnden Licht.

Bücherstädterin Susanne Brandt
Bild: Satzhüterin Pia

Ein Beitrag zum Special #philosophiestadt. Hier findet ihr alle Beiträge.
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