Bäume im Rausch

von | 20.04.2017 | Belletristik, Buchpranger

Was haben entwurzelte Bäume mit dem Schicksal eines Rentners und einer Ausreißerin zu tun? Und was verbindet die zwei Menschen? In Ada Dorians neuem Roman „Betrunkene Bäume“ hat Worteweberin Annika Antworten auf diese und andere Fragen gefunden.

Der Rentner Erich forscht an „betrunkenen Bäumen“, seit er als junger Mann eine lange Forschungsreise durch Sibirien gemacht hat. Durch den abtauenden Permafrostboden geraten Bäume in Schieflage und wachsen deswegen krumm. Eigentlich ganz ähnlich wie Erich und Kathi, denen auch der Boden unter den Füßen taut und sie ins Wanken bringt. Nicht mehr gebraucht werden, Schmerzen im Bein, nicht mehr sehen, ob die Ampel rot oder grün ist: Das ist neuerdings Erichs Leben. Er wird alt und je weniger man ihm zutraut, desto mehr verliert er die Kontrolle.
Die siebzehnjährige Katharina hingegen hat ein ganz anderes Problem. Ihr Vater hat die Familie verlassen, um in Russland Ölpipelines zu verlegen. Aus Trotz ist Kathi von zu Hause weggelaufen, jetzt haust sie in einem Zelt in der entkernten Wohnung neben Erich und geht nicht mehr zur Schule – wozu auch, wenn sie sich sowieso für nichts interessiert?

Ein Plan

Nach einer Begegnung im Flur schmieden die beiden einen Plan: Anstatt der Pflegekraft, Frau Petrowa, wird von nun an Katharina ein Auge auf Erich haben, natürlich, ohne dass Erichs Tochter davon etwas erfährt. Kathi bekommt dafür dreihundert Euro, von denen sie das Duschen im Schwimmbad und Essen bezahlen kann. Außerdem kommt sie unbeabsichtigt in Berührung mit Erichs Forschung an den betrunkenen Bäumen und stellt fest, dass sie doch Interessen hat. Doch das kann natürlich nicht für immer gut gehen. Irgendwann entdeckt Erichs Tochter nicht nur die Bäume, die der Rentner in seinem Schlafzimmerboden gepflanzt hat, sondern auch den Schwindel mit Frau Petrowa. Prompt organisiert sie für Erich einen Platz im Heim, aber dort will er auf keinen Fall hin.

Nicht innovativ, aber überzeugend

Ada Dorian verknüpft auf spannende Weise die Schicksale der Figuren ihres Romans, die von Erich und Kathi, aber auch Erichs Frau und Tochter und sein damaliger Forschungsbegleiter in Sibirien kommen zur Sprache. Während die Handlungsstränge in der ersten Hälfte noch unverbunden nebeneinander zu stehen scheinen, verbinden sie sich im weiteren Verlauf des Romans. Die Handlung spielt dabei auf mehreren Zeitebenen, die am Ende ein unerwartetes Bild ergeben. Auch wenn die Figuren und Situationen teilweise sehr skurril geraten (wer pflanzt Bäume im Schlafzimmer?), sind sie doch glaubhaft.
Insbesondere Erich wird gerade durch diese „Macken“ zu einem Menschen aus Fleisch und Blut, während Katharina an einigen Stellen etwas lebloser bleibt und manche ihrer Probleme nur angekratzt werden. Erzählerisch ist „Betrunkene Bäume“ nicht innovativ, aber überzeugend. Ada Dorian ist mit „Betrunkene Bäume“ ein unterhaltsamer, berührender Roman gelungen.

Betrunkene Bäume. Ada Dorian. Ullstein fünf. 2017.

Bücherstadt Magazin

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