Adventskalender 2017: Türchen 11

von | 11.12.2017 | #litkalender, Kreativlabor

Klabauterweihnacht

Er fror. Obwohl er sich schon weit ins Schiff zurückgezogen hatte, schien die Kälte ihm zu folgen. Es war sehr ungemütlich, nach und nach umspielte sie seine Beine, bis es ihm gar ganz fröstelte. Dieses Wetter war er nicht gewohnt. Seine bisherigen Schiffe waren nur dort gefahren, wo fast immer die Sonne schien und er die lauen Nächte oben in der Takelage verbringen konnte. Doch kaum steckte er an diesen Tagen auch nur die Nase aus einer der Luken, schon umtanzten ihn Schneeflocken und der Frost zwickte ihm einmal kräftig in die Ohren. Wo war nur die Sonne hin?
In seinem Klabauterleben hatte er schon einige Besatzungen kommen und gehen sehen, doch alle schienen zumindest ein gewisses Maß an Fähigkeiten mitzubringen. Diese Mannschaft aber war offenbar anders. Wie sonst ließ es sich erklären, dass sie die warmen Gewässer verlassen hatten, um ausgerechnet in solch ungemütliches Gebiet zu segeln? Klabauter schlich sich durch die spärlich beleuchteten Gänge. Obwohl er sich unsichtbar machen konnte, fühlte er sich dazu momentan nicht in der Lage, beinah so, als würde das Wetter an seiner Kraft zerren.
So huschte er an diesem Abend von Versteck zu Versteck, blieb an jeder Abzweigung stehen, um zuerst zu lauschen und dann um die Ecke zu blinzeln, ob der nächste Gang frei war. Stück für Stück schlich sich Klabauter so aus seinem Versteck tief im Schiffsinneren an die Quartiere der Matrosen heran, denn sie besaßen, so hatte er bereits ausgespäht, warme Kleidung. Und er sah nicht ein, dass gerade er als das doch wichtigste Besatzungsmitglied weiter frieren sollte. Auch stand gerade heute weder die übliche Tasse Milch noch ein versöhnliches Gläschen Rum an seinem Platz für ihn bereit. Was waren denn das für Seeleute?
Klabauter murrte leise in seinen weißen Bart hinein, so dass das zerzauste rote Haar, welches unter seinem kleinen Kapitänshut hervorschaute, zu leuchten schien. Ihm würde in den nächsten Tagen sicherlich noch der eine oder andere Streich einfallen, mit dem er es den Matrosen heimzahlen konnte. Doch zuerst wollte er sich etwas von der warmen Wäsche stibitzen. Auf dem Weg zu den Quartieren fielen ihm grüne Zweige und bunte Kugeln auf, welche stellenweise entweder von der Decke herabhingen oder an der Wand befestigt waren. Der Kobold machte dabei jedes Mal einen Bogen um diese seltsamen Gebinde. Noch nie hatte er dergleichen auf einem seiner Schiffe gesehen.
Nun stand er vor der letzten Ecke zu den Quartieren und lauschte. Auch hier war nichts zu hören. Weder Gespräche noch Schritte noch überhaupt etwas. Lediglich das Knarzen der Wände wanderte über die Flure, verschwand ins Nirgendwo. Klabauter schlich vorwärts, um das Ohr an die Tür zu legen. Ebenfalls nichts. Er stutzte und kratzte sich dabei nachdenklich am Kopf, so dass einige seiner Haare nun ganz quer abstanden. Dies war eindeutig ein Schiff, welches sich mitten auf dem Wasser befand, die Seeleute konnten also nicht einfach so an Land gegangen sein. Aber auf seinem Weg aus dem Bauch bis zu dieser Tür war ihm nicht ein einziger Matrose begegnet, auch hatte er keinen von ihnen gehört. Sollte er, der Klabautermann, der Kobold dieses Schiffes, irgendetwas übersehen haben, was die Sicherheit gefährdete? Und sollten alle anderen es vor ihm bemerkt und das Schiff verlassen haben? So wie ihn die Kälte umhüllte, so war es vielleicht auch möglich, dass sie seine Sinne trübte.
Mit großer Anstrengung machte er sich unsichtbar, ergriff die Klinke und öffnete die Tür. Der Raum war groß, gemütlich eingerichtet und chaotisch mit den verschiedensten Sachen zugestellt. An vielen Stellen lagen Kleidungsstücke herum, über einem Stuhl hingen zudem einige bunte Bänder, deren Enden sich kräuselten. Auf dem Tisch daneben war buntes Papier ausgebreitet worden, von welchem einige Rollen ihren Weg auf den Boden gefunden hatten.
Klabauter huschte durch den Raum, griff sich einen Schal, eine Mütze, Handschuhe und dicke Socken. Obwohl er als Kobold nicht wirklich groß war, waren einige der Seeleute wohl nur ein klein wenig größer als er, so dass diese Kleidungsstücke ihm beim ersten Anhalten recht gut passten. So schnell er in das Quartier hineingeschlichen war, so schnell verließ er es auch wieder, drückte dabei seine Beute fest an sich.
Den Gang hinunter stand eine Tür zu einem Lagerraum offen. Klabauter nutzte diese Gelegenheit und huschte hinein. Hinter den unzähligen Truhen und Fässern setzte er sich auf einen Stapel Holz, um einen ersten Blick auf die Beute zu werfen. Die Socken waren etwas zu groß, aber wenn er sie ganz hochzog, bis sie etwas über den Rand seiner Stiefel hervorschauten, passten sie bequem. Kaum war die neue Kleidung angezogen, kroch die Kälte aus den Knochen und wunderbare Wärme breitete sich aus. Die Kapitänsmütze passte nicht unter die Wollmütze, so drehte Klabauter es einfach um und zog sich zuerst diese über den Kopf, um dann den Kapitänshut obendrauf zu setzen. Dazu wickelte er noch den Schal um, der so lang war, dass er für drei Runden reichte. An den Handschuhen fehlten die Fingerspitzen, was sich jedoch als Glück herausstellte, denn so konnte er alles gut greifen und festhalten. Mit einer Schicht Wolle dazwischen konnte es manches Mal umständlich werden.
Derart neu gegen die Kälte ausgestattet, saß Klabauter noch eine Weile in seinem Versteck, denn er fühlte sich ein wenig ungelenk mit so viel neuer Kleidung. Die Ohren verschwanden ganz unter der Mütze, die Nase versteckte sich ab und an im Schal, doch er dachte nicht daran, die Sachen wieder auszuziehen. So wohlig und angenehm war die aufsteigende Wärme, welche ihm seine Kräfte sowie ein Lächeln zurückbrachte. Klabauter fühlte sich sogleich besser und versuchte erneut, sich unsichtbar zu machen, was ihm auch auf Anhieb gelang. Gegen die Witterung geschützt, schlich er nun hinaus auf das Deck, in der Hoffnung die Mannschaft dort anzutreffen.
Die See lag nicht ruhig, viele Wellen schlugen gegen das Schiff, welches hin und her tanzte. Durch die Reling sprühende Gischt nahm dem Kobold die Sicht, um nicht die Orientierung zu verlieren, hielt er sich an einem Tau fest. Eine folgende Welle schlug hart gegen den Rumpf, welcher mit einem klagenden Ächzen antwortete. Klabauter umrundete einmal das gesamte Deck, aber auch hier ließ sich nicht ein einziges Mitglied der Crew auffinden. Lediglich die Reste zersprungener bunter Kugeln, offenbar die gleichen wie in den Gängen, hingen an einigen Stellen mit vom Wetter zerpflückten grünen Zweigen.
Als die Wellengewalt das Schiff so hin und her schubste, verspürte der Kobold das aufkeimende Verlangen, seiner eigentlichen Aufgabe nachzugehen und die Wände zu überprüfen, ob sie wohl der Witterung standhalten und das Gefährt sicher in den Hafen bringen würden. Jedoch bemerkte er, dass ihm sein Hammer auf der Suche nach der Kleidung abhandengekommen sein musste, so dass er ihn zuerst holen müsste. Klabauter grummelte vor sich hin und strich einige Schneeflocken aus seinem weißen Bart, es gefiel ihm gar nicht, wenn sein Hammer nicht bei ihm war.
Nur noch wenige Schritte war er von dem Lagerraum entfernt, in welchem er die vergangenen Tage verbracht hatte und seinen Hammer vermutete, als er es endlich hörte: Ein Gewirr aus menschlichen Stimmen kam ihm vom anderen Ende des Ganges entgegen. Ihr Gesang ließ eine heitere Stimmung erahnen. Fast schon erinnerte dieser ihn an eine Andacht, so tragend breiteten sich die einzelnen Töne in seinem Kopf aus, erzeugten dabei eine ungekannte Gemütslage. Feierlich, doch erhaben und auch ein klein wenig stolz klangen die Stimmen, an welche Klabauter sich nun heranschlich. Ein paar Ecken musste er dazu umrunden und schon bald stand er vor der schweren Tür der Kombüse, durch deren Ritzen ihm die wundersamsten Gerüche, wie eine Beikost zum Gesang, in die Nase schwebten.
Als eine offenbar große Welle das Schiff traf und dieses ein wenig zu tanzen begann, ergriff der Kobold seine Chance, stieß die angelehnte Tür auf und huschte hinein, bevor ein Matrose, der gerade an der Tür vorbeiging, sie wieder schloss. In der Kombüse, in der auch eine Anzahl von Tischen und Stühlen stand, war es angenehm warm, so dass Mütze, Schal und Handschuhe schnell überflüssig erschienen. Seltsamerweise war die gesamte Mannschaft an diesem Ort versammelt und einige von ihnen hielten kleine Päckchen in den Händen, welche in genau jenem bunten Papier eingepackt waren, das Klabauter in ihrem Quartier vorgefunden hatte. Zwar war die Wand direkt hinter ihm, aber für seinen Geschmack liefen hier eindeutig zu viele Beine herum, und jedes von ihnen endete in einem Fuß, der ihn treten konnte.
Klabauter sah sich um, suchte ein Versteck in der Nähe und entschwand in eine Ecke, in welcher auch ein großer, grüner Baum stand. Auf und an seinen Ästen trug dieser viele seltsame Gegenstände, darunter auch wieder die bunten Kugeln. Doch um einiges interessanter als der Baum erschien ihm ein kleiner Tisch. Dieser stand zwischen Baum und der Wand, wies dabei genau die richtige Höhe für ihn auf und mitten darauf stand eine schöne große Tasse Milch sowie ein kleines Fässchen Rum. An der Seite des Tisches befand sich ein Stuhl, ebenfalls genau für seine Höhe passend, mit einem sehr bequem aussehenden Kissen darauf. Und Klabauter wusste, dass dies ganz allein für ihn dort stand.

Sanna Renner, Twitter: @chaoskraehe

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