1000 Mark, 7 Flaschen Schnaps und das schönste Mädchen der Welt

von | 19.10.2016 | Belletristik, Buchpranger

Mit „Skizze eines Sommers“ hat André Kubiczek es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2016 geschafft. Von diesem wunderbaren Roman hat Worteweberin Annika sich in eine Zeit mitnehmen lassen, als man noch Mixtapes aufnahm, um das Herz eines Mädchens zu erobern.

U1_978-3-87134-811-2.inddEs ist 1985, René ist 16 und die Sommerferien stehen vor der Tür. Ferien, das bedeutet, sechs Wochen Freiheit, denn Renés Vater wird während der Zeit in der Schweiz sein, und René alleine in Potsdam zurücklassen. Mit eintausend Mark in der Tasche und sieben Flaschen Napoléon im Schrank steht einem wunderbaren Sommer nichts mehr im Weg. Zeitweise verschwindet nun sogar die Melancholie, die René seit dem Tod seiner Mutter befallen hat und die er in philosophischen Texten zu ertränken versucht.

Doch nun beginnen also die Sommerferien, die letzten, bevor René ins Internat und damit raus aus Potsdam muss. Von nun an versinkt René in einem Strudel aus Disko-Abenden im Orion, Baudelaire-Texten, Songs von den Simple Minds und The Cure und Gedanken an das schönste Mädchen der Welt. Doch wer ist das nun eigentlich, Bianca, Rebecca oder doch das Mädchen ohne Namen?

Ein Roman wie ein Song

„Skizze eines Sommers“ heißt Kubiczeks Roman, nach dem Song „Sketch of a Summer“ von Durutti Column, den René für das Mädchen ohne Namen auf Kassette aufnimmt. Und so wie dieser Song auch ist Kubiczeks Roman stimmungsvoll und atmosphärisch, federleicht und unbeschwert. Er entführt in eine andere Zeit, ins Potsdam der 80er Jahre. Mit René erinnert sich der Leser daran, wie es ist, 16 zu sein, wenn sich noch stündlich ändern kann, in wen man gerade verliebt ist. Wenn man seine Schuhe mit schwarzem Lack anmalt, um rebellisch zu wirken. So entsteht die Skizze einer Jugend, eines Gefühls, eines Sommers – und sie ist so präzise und treffend, dass man meint, gemeinsam mit René und seinen Freunden diese Ferien zu durchleben.

Sehr genau gezeichnet ist auch René, der Junge mit der schwarzen Kleidung, der Baudelaire und Brecht liest, wenn er in der DDR an die Bücher kommt, der sich zwischen seinen „intellektuellen Freunden“ und Mario, dem Arbeitersohn, hin- und hergerissen fühlt und noch dazu versucht, auf sein Herz zu hören. „Eigentlich ist es überall schön. Es kam darauf an, wen man bei sich hatte, sei es an der Hand oder im Kopf.“ (S.286) Das jedenfalls ist die Weisheit, die René am Ende des Sommers gewonnen hat. Was vor dieser Einsicht alles passiert, macht viel Spaß zu lesen.

Völlig zu recht ist André Kubiczek damit auf der Shortlist des Buchpreises gelandet, denn „Skizze eines Sommers“ sticht aus vielen anderen Neuerscheinungen hervor. Ganz nebenbei wird darin ein Stück deutscher Geschichte verhandelt und spürbar, auch für jemanden, der die DDR nicht miterlebt hat. Vor allem aber transportiert der Roman eine Stimmung, von der man sich als Leser treiben lassen kann, so wie René durch seinen Sommer treibt. Das alles zusammen genommen macht „Skizze eines Sommers“ unbedingt empfehlens- und lesenswert.

Skizze eines Sommers. André Kubiczek. Rowohlt Berlin. 2016.

 

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