Seit mehreren Stunden sitzt er nun schon hier oben. Die Augen offen, in die Ferne gerichtet. Sie blicken ins Nichts und darüber hinaus. Die Landschaft an diesem Ort ist einzigartig, aber heute ist er nicht hier, um sich an ihrem Anblick zu erfreuen.
Er ist an diesem Tag heraufgekommen, weil er die anderen nicht mehr ertragen konnte, nicht heute. Da hilft auch das Wissen nichts, dass es an ihm selbst liegt; dass nur er allein für seinen Seelenfrieden sorgen kann. Manchmal braucht man einfach Abstand. Sogar als einer der ältesten Mönche des Klosters. Oder vielleicht gerade dann?
Er beschließt gerade, darüber zu meditieren, als sich von hinten ein Tiger nähert. Auf leisen Samtpfoten schleicht sich die Raubkatze heran. Der Mönch atmet ruhig weiter und macht keinerlei Anstalten, sich zu fürchten oder zu fliehen. Als das Raubtier wenige Schritte hinter ihm stehenbleibt, ermutigt er es sogar näherzukommen: „Komm ruhig her, mein Freund.“ Der Tiger folgt der Aufforderung und lässt sich neben dem Mönch nieder. Als ihn dieser zwischen den Ohren krault, schnurrt die große Katze zufrieden. Auch dem Mönch selbst wird dabei wieder wärmer ums Herz. Seitdem er das Tier aus einer Falle befreit hat, sind die beiden unzertrennlich. Selbst heute.
Verseflüsterin Silvia
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