Zur letzten Ruhe – Ein literarischer Friedhofsrundgang (Teil II)

von | 27.10.2017 | #Todesstadt, Buchpranger, Gedankenkrümel, Specials

Dürre Äste knarzen und klappern im Wind, ein rostiges, verschnörkeltes Eingangstor schlägt quietschend hin und her, moosbewachsene Grabsteine stehen mit Schlagseite dicht an dicht. Willkommen auf dem fantastischen Prototyp eines Grusel-Friedhofs! Dass hier natürlich auch allerhand literarische Persönlichkeiten und Figuren ihre letzte Ruhe gefunden haben, hat Zeilenschwimmerin Ronja im ersten Teil des literarischen Friedhofsrundgangs schon gezeigt. Worteweberin Annika hat sich außerdem in Paris, Kopenhagen und Prag umgesehen und weitere Geschichten gesammelt.

Friedhöfe in Paris

Der Friedhof Père Lachaise in Paris ist ein wahrer Besuchermagnet. Sicherlich liegt das daran, dass hier eine ganze Reihe berühmter Persönlichkeiten aus allen Gesellschaftsbereichen begraben wurde – und aus aller Welt. Da Paris immer ein Magnet für Künstler verschiedenster Nationen war (man denke zum Beispiel an die Generation vor allem amerikanischer Literaten, die hier in den 1920er Jahren ihr Zuhause fand), verwundert das nicht. So haben zum Beispiel Oscar Wilde („Das Bildnis des Dorian Gray“ von 1890), Gertrude Stein, aber auch der Musiker James Morrison hier ihre letzte Ruhestätte. Bekannte Schriftsteller auf diesem Friedhof sind zum Beispiel Marcel Proust („Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von 1913 – 1927), Molière („Der eingebildete Kranke“ von 1673, „Der Geizige“ von 1668 uvm.), der mit bürgerlichem Namen übrigens Jean-Baptiste Poquelin hieß, oder der im Deutschen wenig bekannte erste Literaturnobelpreisträger, Sully Prudhomme, der vor allem Gedichte verfasste. Außerdem ist hier der Schöpfer des Elefanten Babar beerdigt, der französische Kinderbuchautor und Maler Jean de Brunhoff.

Auch der „Cimetière de Montmartre“ in Paris, oft Nordfriedhof genannt, beherbergt zahlreiche literarische, aber auch anderweitig interessante Gräber: Hier liegen die Stifter des renommierten französischen Literaturpreises „Prix Goncourt“, nämlich Edmond und Jules de Goncourt. Beide waren auch selbst schriftstellerisch tätig, und zwar im Tandem. Die beiden Brüder schrieben alle ihre Werke gemeinschaftlich. Obwohl der Name es nicht vermuten lässt, war auch der Autor Stendhal („Von der Liebe“ von 1822, „Rot und Schwarz“ von 1830 u.a.) Franzose, legte sich jedoch ein Pseudonym zu, das vermutlich an eine Stadt in Sachsen-Anhalt angelehnt ist. Ebenfalls auf dem „Cimetière de Montmartre“ ließ sich Émile Zola (z.B. „Thérèse Raquin“ von 1867) beisetzen. Ein großer deutschsprachiger Schriftsteller fand hier ebenfalls seine letzte Ruhestätte: Heinrich Heines (z.B. „Reisebilder“ von 1826, 1827 und 1830) Grab findet sich ebenfalls auf dem Montmartre, nachdem der Autor lange Jahre in Paris im Exil gelebt, dort Freundschaften zu vielen anderen Intellektuellen aufgebaut und das politische Geschehen verfolgt hatte.

Friedhöfe als Schauplätze

Nun zu einem Friedhof, den es heute gar nicht mehr gibt: Der „Cimetière des Innocents“, also der Friedhof der Unschuldigen, wurde 1780 geschlossen und aufgelöst, da der Fäulnisgestank nicht mehr zu ertragen war. Die Knochen der dort zu Massen begrabenen Pariser wurden daraufhin in die Katakomben von Paris umquartiert, wo sie zu kunstvollen Türmen aufgestapelt noch heute besichtigt werden können. Trotzdem lebt der „Cimetière des Innocents“ in der Literatur weiter. Vielen bekannt ist sicherlich, dass der Protagonist in Patrick Süskinds Roman „Das Parfum“ (1985), Grenouille, hier nicht nur stirbt, sondern auch auf dem direkt angrenzenden Fischmarkt geboren wird, sodass der Friedhof einen Rahmen um die Romanhandlung und Grenouilles Leben bildet. Ebenfalls von 1985 stammt der Roman „Der Fürst der Finsternis“ von Anne Rice, in dem der Friedhof die Heimat eines Vampirs ist. Und in „Friedhof der Unschuldigen“ (2011) von Andrew Miller geht es um den Abbau des Friedhofs.

Ein weiterer Friedhof, der als literarischer Schauplatz dient, ist der Alte Jüdische Friedhof in Prag. Hierauf nämlich bezieht sich der Titel von Umberto Ecos Roman „Der Friedhof in Prag“ von 2010. Im Roman geht es um die tatsächlich existierenden „Protokolle der Weisen von Zion“, gefälschte Protokolle über verschwörerische Treffen von Juden auf dem Alten Jüdischen Friedhof. Diese Fälschungen, die von Antisemiten als Beleg für Vorurteile und Beschuldigungen verwendet wurden, beruhen übrigens auf einer literarischen Vorlage, die ebenfalls teilweise auf dem Friedhof spielt, „Biarritz“ (1868) von Hermann Goedsche. Ein weiteres literarisches Grab auf diesem Friedhof ist das des Rabbi Judah Löw, der laut Legende den Golem erschaffen und zum Leben erweckt haben soll, was in den Stummfilmen „Der Golem“ (1915) und „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) thematisiert wird.

Ein letzter Stopp

Auf dem Assistenzfriedhof in Kopenhagen („Assistens Kirkegård“) geht es ganz und gar nicht gruselig zu: Der Parkfriedhof wird heute von vielen Städtern als Ausflugsziel und Liegewiese verwendet und beherbergt ein Kulturzentrum. Aber ein Besuch lohnt sich auch aus literarischen Gründen, denn hier wurde der wohl bekannteste dänische Schriftsteller beerdigt. Hans Christian Andersen schrieb über 150 Märchen nieder, darunter „Die kleine Meerjungfrau“, „Des Kaisers neue Kleider“ oder „Der Schatten“. Außerdem liegt hier der Philosoph Søren Kierkegaard („Der Begriff Angst“ von 1844), dessen Nachname selbst auf Dänisch nichts anderes als Kirchhof oder Friedhof bedeutet.

Zum Weiterlesen:

Ein Fund aus der Todesstadt.

Illustration: Buchstaplerin Maike

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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