Wie erreicht man es – das bessere Leben?

von | 28.11.2015 | Belletristik, Buchpranger

Ulrich Peltzer ist in der Welt der Literatur kein unbekannter Name: Seit seinem Debüt-Roman „Die Sünden der Faulheit“ im Jahre 1987 erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Sein Roman „Teil der Lösung“ war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und zuletzt „Das bessere Leben“ für den Deutschen Buchpreis. Am 29. November liest der Autor im Rahmen der Lesereise „LiteraTour Nord“ im Literaturcafé Ambiente in Bremen aus seinem aktuellen Buch. – Von Zeichensetzerin Alexa

Was ist Realität und was Fiktion?

Schon die ersten Seiten der Lektüre verraten: Der Leseweg wird nicht einfach. Und das liegt nicht nur an dem komplizierten, dem Durchschnittsmenschen fremden Thema, sondern auch an der Sprache. Zwei Punkte, die im Wechselspiel funktionieren und das eine durch das jeweils andere bekräftigen. Die Orte des Geschehens wechseln nicht nur innerhalb der realen Plätze wie São Paulo, Mailand und Turin, Zürich, Lugano, Amsterdam und China, sondern auch zwischen Traum und Realität. Nicht einfach ist es, zu erkennen, wo etwas beginnt und aufhört – der Übergang von einer Traumsequenz zum nächsten Handlungsstrang wechselt fließend, sodass die Verwirrung groß ist, wenn man sich urplötzlich an einem anderen Ort wiederfindet.
das-bessere-lebenAn den Protagonisten kann man sich zunächst kaum orientieren. Denn noch bevor man den einen kennenlernen kann, wechselt die Erzählung an einen anderen Ort zu einem anderen Protagonisten. Im Laufe der Geschichte wird jedoch klar: Es gibt drei Hauptcharaktere und so einige Nebencharaktere. Viele Namen begegnen einem, von denen einige historisch fassbar sind. Daten, Fakten, Ereignisse der Vergangenheit, die immer wieder angeschnitten werden, darunter der Fall im Jahre 1970, bei dem während eines Studentenprotests vier Studenten erschossen wurden.

Im Hamsterrad

Zu den Protagonisten gehören Brockmann, Angelika Volkhart und Sylvester Lee Fleming. Letzterer ist der geheimnisvollste von ihnen – nur sehr wenig erfährt man über ihn und seine dubiosen Geschäfte, sowie über seine Rolle im Gesamtwerk. Man hat das Gefühl: da ist irgendetwas, das nicht erzählt wird.
Brockmann arbeitet für eine italienische Maschinenbaufirma als Head of Sales Southeast Asia und versucht einen großen Auftrag zu verwirklichen. Sein Leben ist bestimmt durch Geschäfte, Reisen, Geld – ein Teufelskreislauf, dem er sich nicht entziehen kann, in dem er festsitzt wie im Hamsterrad. Und Angelika ist Leiterin einer Reedereifiliale in Amsterdam, kümmert sich um die Eisenerztransporte und fragt sich, ob sie im Leben alles richtig gemacht hat.
Drei Figuren, die den Großteil des Romans wenig miteinander zu tun haben, bis sie aufeinandertreffen. Stets fragt man sich beim Lesen deshalb, in welcher Verbindung die Figuren zueinanderstehen und worauf das alles hinauslaufen soll.

„Und alle streben nach einem besseren Leben.“

Immer schneller, schneller! So scheint diese Welt zu funktionieren, geführt von Menschen – Managern, Bankern, was weiß ich? – die mit Zahlen und Unmengen an Geld arbeiten. Ein Bereich, der für Menschen, die damit nichts am Hut haben, nicht transparent, geschweige denn greifbar ist. Was machen die da eigentlich? Wenn fragwürdige Geschäfte betrieben werden, von denen nie jemand erfahren wird, und vor allem: welche Konsequenzen ergeben sich hieraus? Wie viel ist man bereit zu opfern – für ein „besseres Leben“? Und wie sähe dieses aus?
Peltzer wirft Fragen auf, ohne konkrete Antworten zu geben. Als vertraue er darauf, dass man in der Lage sei, selbst nachzudenken, eigene Schlüsse zu ziehen und eigene Antworten zu finden. Sei es die Frage nach dem bürgerlichen Idealismus, der kommerziellen Gesellschaft, der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit; Netzwerke, die sich durch Zufälligkeiten ergeben oder auch nicht. Und wozu überhaupt das alles? Wie viel wollen wir arbeiten, in der Hoffnung, dadurch glücklich zu werden? Zu viel Arbeit, zu wenig Schlaf, keine Lösung? Verpflichtungen, Bindungen, Beziehungen, Leistung, Leistung, Leistung!

Zwischen den Zeilen

Diese ununterbrochene Schnelllebigkeit wird gerade durch Peltzers Schreibstil deutlich: lange Sätze bestimmen den Roman, Gedanken, die fragmentarisch abbrechen, weil gerade ein anderes Thema wichtiger wird, eine Ablenkung, die wiederum durch eine Ablenkung abgebrochen wird. Und inmitten dieser langen, komplizierten Sätze weitere Informationen in Klammern – ob es sich hierbei um die Gedanken des Protagonisten, um Anmerkungen des Autors oder etwas ganz anderes handelt, ist nicht immer ersichtlich.
Wie eine rettende Insel erscheinen einem hier die Dialoge. Wenn sich die Protagonisten – vor allem im privaten Umfeld – unterhalten, dann ist die Welt plötzlich langsamer, ruhiger. Auch werden die Handlungen der Protagonisten klarer.

logo_dbp15Was ist der Roman „Das bessere Leben“? Gesellschaftskritik? Bewusstseinsroman? Eine utopische Vorstellung? Zumindest lässt er viel Interpretationsspielraum und fordert einen, nicht nur durch das Gesagte, sondern auch durch das nicht Gesagte. Die Vielschichtigkeit ist in und zwischen den Zeilen zu sehen. Und man muss viel filtern, für sich selbst das herausziehen, was einem als interessant und wichtig erscheint – so viel prasselt auf einen beim Lesen ein. Da ist es einem kaum möglich, das alles beim ersten Lesen zu erfassen.

Das bessere Leben. Ulrich Peltzer. Fischer Verlag. 2015.

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

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      Lohnt sich! Das Buch fordert viel Konzentration und Geduld. Es ist eine Herausforderung, bis zum Ende durchzuhalten. Aber am Ende nimmt man doch einiges für sich mit, allein schon wegen dieser stilistischen Umsetzung. Ich bin sehr gespannt, was du davon halten wirst!

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