Was vom amerikanischen Traum übrig bleibt

von | 11.04.2017 | Belletristik, Buchpranger

Hoffnung und Ernüchterung halten sich in „Das geträumte Land” von Imbolo Mbue die Waage. Buchstaplerin Maike bangt mit einer kamerunischen Familie in New York zur Zeit des Börsencrashs im Jahre 2008. Sie erfährt, was Menschen alles für ihre Familien und ihren (amerikanischen) Traum zu tun bereit sind.

Für Jende Jonga ist New York der Mittelpunkt der Welt, und nirgendwo sonst soll seine Familie zu Hause sein. Noch ist die Immobilienblase nicht zerplatzt und so üben die Wolkenkratzer der Wall Street eine magische Anziehungskraft auf den Einwanderer aus Kamerun aus. Jende gelingt etwas, das wie ein Märchen klingt: Clark Edwards, ein reicher Makler bei Lehman Brothers, stellt ihn als persönlichen Chauffeur ein. Die Wege der Familien Jonga und Edwards kreuzen sich immer stärker, bis auch Jendes Frau Neni neben ihrem Studium für Clarks Frau Cindy arbeitet. Mit der Zeit werfen Jende und Neni einen Blick hinter die glitzernde Fassade der reichen Weißen. Als sie bröckelt, beginnt alles zu zerfallen …

„Als ich in Limbe Müll gesammelt habe, hätten wir da geglaubt, dass wir es irgendwie nach New York schaffen?”

„Das geträumte Land” wirft die LeserInnen zurück in die Zeit, als Amerika voller Hoffnung auf Obama war und vom Finanzcrash überwältigt wurde. Mbue spannt mit den Figuren die Schere zwischen Ursache und Wirkung: Clark Edwards scheint symbolisch für die Verursacher der Krise zu stehen, während die Jongas überall um sich herum die indirekten Auswirkungen zu spüren bekommen.
Was diese Konstellation spannend macht, ist die Abwesenheit einer Gut-Böse-Zuschreibung. Im Gegenteil: Alle Hauptfiguren sind vielschichtig, mit guten und schlechten Eigenschaften, und sehr menschlich gezeichnet. Geschickt konstruiert Mbue die Schicksale der beiden Familien parallel. Für ihre Familie machen die Figuren alles. Nicht selten bewegen sie sich dabei in rechtlichen Grauzonen oder überschreiten sogar die Grenze zur Kriminalität. Ob es um die Veruntreuung von Firmengeldern, das Belügen der Einwanderungsbehörde, Erpressung oder Heimlichtuereien geht: Mbue gibt keine Bewertung ab, was davon gerechtfertigt oder zu verurteilen ist. Stattdessen lässt sie zwischen den Zeilen die Frage offen, was man selbst alles tun würde, um die eigene Familie zusammenzuhalten.

Familie und Heimat sind zweifelsohne die Grundmotive des Romans. Trotz großer kultureller Unterschiede und trotz individueller Kämpfe und Niederlagen bleiben sie als universelle Prinzipien bestehen. Doch Mbue verhandelt noch mehr: Die Kapitel sind weitestgehend abwechselnd aus Nenis und Jendes Perspektive erzählt. Die Ereignisse fügen sich aus dem Blickwinkel der Schwarzen Einwanderer zu einem Gesamtbild zusammen, das mit Klischees spielt. Durch Jende und Neni wird der Kulturschock erlebbar, wenn amerikanischer Traum und Wirklichkeit zusammenprallen. In ihrer Verbundenheit zu Kamerun und dem Versuch, sich ihr Stückchen alte Heimat in der kleinen Wohnung zu bewahren, wirken die Figuren am lebendigsten.

„Amerika kann die Hölle sein […].”

Angesichts der aktuellen politischen Lage in den USA wirkt „Das geträumte Land” wie ein verspäteter Kommentar. Doch der Roman hinterlässt einen ernüchternden, fast zu realistischen Nachgeschmack. Trotzdem: Mbue setzt gekonnt Glücksmomente zwischen individuelle Kämpfe, Vorurteile und Armut, von denen das Buch lebt. Und einige Fragen sind heute so aktuell wie vor zehn Jahren. Wie kommt man gut durchs Leben? Was tut man, um die eigenen Träume wahrzumachen? Was gibt man auf? Und ist der Traum das wert?

Das geträumte Land. Imbolo Mbue.
Aus dem amerikanischen Englisch von Maria Hummitzsch.
Kiepenheuer & Witsch. 2017.

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