Über den Wunsch, wahrgenommen zu werden

von | 19.04.2019 | Bilderbücher, Buchpranger

Chamäleons sind faszinierende Tiere. Sie können nicht nur ihre Farbe der Umgebung anpassen, sondern auch die Augen in unterschiedliche Richtungen verdrehen. Kein Wunder also, dass diese Tiere immer wieder in der Kinderliteratur auftauchen – mal mehr, mal weniger überzeugend. Zeichensetzerin Alexa hat „Napoleon Chamäleon“ kritisch betrachtet.

In „Napoleon Chamäleon“ versucht der Protagonist, Freunde zu finden. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als wahrgenommen zu werden und mit anderen Tieren zu spielen. Das ist allerdings gar nicht so einfach, denn Napoleon verschmilzt so sehr mit seiner Umgebung, dass er beinahe unsichtbar wird. Vielmehr erschrecken sich die Tiere, wenn etwas, das sie nicht sehen können, in ihrer Nähe zu sprechen beginnt.

Unsichtbar – bis zur Gefahr

Dass ein Chamäleon nicht sofort bemerkbar ist, ist logisch, doch die Geschichte in diesem Bilderbuch nimmt einen absurden Verlauf: Was auch immer Napoleon versucht – rufen, schielen, eine Fußmatte flechten, eine Vogeltränke bauen –, Papagei Polly und Affe Micky nehmen ihn nicht wahr. Erst als sich Napoleon in Gefahr begibt und auf die Hilfe der anderen angewiesen ist, wird er „gesehen“. Plötzlich sind Polly, Micky und Napoleon Freunde, und am liebsten spielen sie Verstecken und „Farbe, wechsle dich“ zusammen.

Was vermittelt dieses Bilderbuch? Es scheint, als müsste sich Napoleon durch fragwürdige Handlungen beweisen, um die Aufmerksamkeit der anderen Tiere zu gewinnen. Als sei er mit dem, was er schon kann und was ihn ausmacht, nicht wertvoll genug, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Deshalb ist auch er derjenige, der sich bemerkbar machen und um die Freundschaft bemühen muss – nicht aber die anderen. Dieser Eindruck wird durch den Ausgang der Geschichte bestärkt. Napoleon muss erst weniger er selbst werden, um die Aufmerksamkeit der anderen zu gewinnen: Durch den Sturz vom Ast verliert er den Schutz der Umgebung und somit auch die angepasste Farbe.

Chamäleon-artig farbenfroh

Während die Geschichte große inhaltliche Schwächen aufweist, die als unpädagogisch betrachtet werden können, ist die Gestaltung des Buches das, was überzeugt: Die Illustrationen von Christine Faust spiegeln die farbliche Vielfalt eines Chamäleons wider und sprechen mit ihrer farbenfrohen Gestaltung Kinder an. Die Illustratorin schafft es, Wärme, Emotionen und die Atmosphäre eines Dschungels darzustellen. Immer wieder möchte man die Seiten betrachten und sich in den bunten, leuchtenden Bildern verlieren.

Leider ändern die ansprechenden Illustrationen nichts an dem Inhalt, der fragwürdige Botschaften transportiert. Eine Empfehlung kann daher nur mit großen Einschränkungen ausgesprochen werden. Das Bilderbuch kann gezielt zur Auseinandersetzung mit dem Thema Freundschaft und Selbstwertschätzung herangezogen werden. Dabei kann die Handlung gemeinsam mit den Kindern kritisch betrachtet werden: Muss ich mich wirklich erst auf gefährliche Weise behaupten, um Freunde zu finden? Was ist Freundschaft? Wie entsteht sie? Und sind andere, die mich und meine Mühen zuvor ignoriert haben, wirklich Freunde?

„Napoleon Chamäleon“ eignet sich als Gesprächsanlass und zur kritischen Betrachtung des Inhalts, ein unreflektiertes Vorlesen ist allerdings nicht zu empfehlen.

Napoleon Chamäleon. Kurt Cyrus, Andy Atkins. Illustration: Christine Faust. Übersetzung: Gesine Schröder. Magellan. 2019.

 

Bücherstadt Magazin

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