Lichtstreifen und Lebenslügen

von | 11.09.2017 | Belletristik, Buchpranger

Um vier Jugendfreunde, verschenkte Liebe und Freundschaft geht es in Mirko Bonnés neuem Roman „Lichter als der Tag“, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2017 steht. Worteweberin Annika ist mit dem Protagonisten Raimund auf die Suche nach dem richtigen Licht gegangen.

Raimund Merz lebt mit Ehefrau Floriane, genannt Flori, und zwei gemeinsamen Töchtern in Hamburg, arbeitet (dank eines gefälschten Lebenslaufs) bei einer Zeitung. Sein Interesse gilt den Hautflüglern, Wespen, Bienen und anderen, die er in seiner Freizeit studiert. Ein bodenständiges, durchschnittliches Leben, könnte man denken. Als er eines Tages seine Tochter Lindy zum Bahnhof bringt, sieht er aus einiger Entfernung eine Frau, Inger, und sofort krempelt sich sein Leben um. Doch wieso? Erst langsam breitet sich die Vergangenheit vor den Lesern aus, die der Grund für Raimunds Erschrecken ist.

Hamburg, Hauptbahnhof

Es begann in der Kindheit, die Raimund zusammen mit Flori, Inger und Moritz in der Feldmark bei Hamburg verbrachte. Gemeinsam durchstreiften die Kinder die Wiesen, badeten im See und im Sommerlicht. Schließlich wurden die Kinder größer, und mit ihnen die Gefühle. Raimund verliebte sich in Inger, Flori in Moritz. Doch schließlich wurden Inger und Moritz ein Paar und die beiden Enttäuschten rauften sich ihrerseits zusammen. Die Freundschaft der vier stellte das auf eine Probe, doch lange hielten die Bande.

„Sie verherrlichten tagsüber das Licht und in der Nacht die Dunkelheit. Es gab die Ferne und die Nähe, und es gab Orte und Augenblicke, da waren Nähe und Ferne dasselbe.“ (S. 114)

Nach der Schule trennten sich die Wege der beiden Paare, kreuzten sich aber später wieder in Berlin. Die lange aufgestauten Gefühle zwischen Inger und Raimund brachen sich Bahn. Dann riss der Kontakt ab. Die verlorene Jugendliebe aber kann Raimund nie vergessen. Die Lügen, mit denen er sich von nun an umgibt, stürzen im Licht der Bahnhofshalle zusammen. Hilflos versucht er, den Kummer in Wein zu ertränken, bis er begreift, dass auch das keine Lösung sein kann. Für Merz bleibt nur die Flucht nach vorn. In Lyon sucht er ein neues Leben und das Licht des Gemäldes von Camille Corot, das ihn schon als Junge so berührte und das vielleicht ein Ersatz für Ingers Liebe sein könnte.

Hoffnung auf ein neues Leben

Bonnés Roman ist verzweifelt hoffnungsvoll: Er zeigt den Lesern, wie Merz einen Weg aus der Krise findet, in die er sich vorher hinein manövriert hat. Einen unorthodoxen zwar, vielleicht nicht ganz legalen, aber dennoch. Das Schicksal von Raimund Merz berührt. Im Roman verweben sich die Vergangenheit und die Gegenwart. Zudem versteht sich der Autor darauf, Andeutungen zu machen, sodass sich erst langsam ein vollständiges Bild ergibt.

Eine besondere Bedeutung kommt im Roman dem Licht zu, das den Protagonisten Raimund Merz in seinen Bann gezogen hat, weil es ihn an die Jugendtage in einem wilden Garten erinnert und das so fast nur im Hamburger Hauptbahnhof zu finden ist – dem Ort, an dem sich Merz‘ Leben zu ändern beginnt. Spannend auch, wie mit Merz‘ Vorliebe für das Bild von Corot die bildende Kunst in den Text eingebunden ist. Besonders eindrücklich ist eine Szene, in der Merz das Gefühl hat, in eine modernisierte Variante des Gemäldes hineinzulaufen.

„Lichter als der Tag“ ist ein berührender, hell leuchtender Stern von einem Roman. Bereits zwei Mal war Bonné für den Deutschen Buchpreis nominiert. Vielleicht klappt es ja mit „Lichter als der Tag“?

Lichter als der Tag. Mirko Bonné. Schöffling & Co. 2017.

 

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir sind umgezogen!

Wir sind kürzlich umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner