Klick, klick, klick

von | 22.12.2018 | Belletristik, Buchpranger

Verena Roßbacher erzählt in „Ich war Diener im Hause Hobbs“ von Erinnerungen, von den richtigen und den verfälschten. Worteweberin Annika hat sich mit dem Protagonisten Christian Klick für Klick durch das Plastiskop seiner Erinnerungen gearbeitet.

„Ich war im Herzen immer schon eher ein Fall für den Seniorenteller,“ sagt Christian, genannt Krischi, über sich selbst. Während der Schulzeit bildet er mit seinen Freunden Olli, Gösch und Isi ein Vierergespann der Hesse und Frisch lesenden, „pseudogebildeten“ Außenseiter mit flaumigen Bärten und einer Antipathie gegen Jeanshosen. Seine Kindheit und Jugend verbringt Krischi hauptsächlich bei Olli und seinem lebensfrohen Vater Charly. Der leitet den sogenannten DoNeiDa, eine der ersten schweizerischen Selbsthilfeorganisationen für Drogenabhängige. Nach der Schule gehen die Jungen ihrer Wege, nur Christian und Olli blieben vorerst im kleinen Feldkirch. Dann besucht Christian die Dienerschule in den Niederlanden und wird schließlich Diener im Hause Hobbs in Zürich.

Detektiv des Vergangenen

Im Dienst für Bernadette und Jean-Pierre Hobbs sowie deren Kinder und den Bruder Gerome fühlt Christian, hier Robert genannt, sich zwar wohl – doch bald vermischt sich seine Arbeitswelt mit seiner Vergangenheit aus Feldkirch und der Diener weiß nicht mehr, wie er sich verhalten soll. Jahre später versucht er zu rekonstruieren, was in seiner Zeit im Hause Hobbs, aber auch viele Jahre früher, vorgefallen ist. Langsam breiten sich Verwicklungen, Verrat, Betrug, Kunstfälschung und Selbstmord aus, die eine krimiähnliche Sogwirkung entfalten.

Nach und nach stellt Christian fest, dass seine Erinnerungen nicht mit den Bildern der Vergangenheit einhergehen, die sich andere gemacht haben oder die auf Fotos festgehalten wurden. Sei das nur die Farbe eines Raumanzuges auf der Beerdigung von Charly, seien es die Charaktereigenschaften seiner Freunde oder sei es die komplette Erinnerung an eine Person.

„Ich fühlte mich betrogen, von allen, von allem, vor allem von meinen Erinnerungen. Was nützten sie mir, wenn keiner sie teilte? […] Heute denke ich, mit meinem Gedächtnis stimmt vielleicht etwas nicht. Entweder, es sind zu viele unwichtige Details, sodass wichtige untergehen, oder mit meinem Gedächtnis stimmt einfach ganz gewaltig etwas überhaupt nicht.“ (S. 205)

Sprünge durch die Zeit

Durch das Aufschreiben eines Berichts versucht Christian, seinen Erinnerungen und der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Er wird durch seine Erinnerungsfehler zum unzuverlässigen Erzähler, dem die Leser nicht unbedingt trauen können. Hierdurch entsteht weitere Spannung, die aber von den Leserinnen und Lesern fordert, sich ganz auf die Erzählung einzulassen. Folgt man Krischi beim Springen zwischen den Zeitebenen, beim Grübeln über die Wahrhaftigkeit des Erinnerten, beim Ziehen von Schleifen durch die Vergangenheit, breitet sich nach und nach ein schillerndes Panorama einer möglichen Vergangenheit aus.

„Die Bilder ziehen an mir vorüber wie in einem Plastiskop. Klick um Klick schaue ich mir diese festgefrorenen Szenen an und erinnere mich an die Tage und Situationen, an die Gespräche und Gefühle und versuche, sie in einen Zusammenhang zu bringen.“ (S. 181)

Keine einfache Geschichte

Im Erzählen spielt Christian mit Bezügen auf die aktuelle Populärkultur mit „Harry Potter“ und „Downton Abbey“ aber auch auf Klassiker wie „Effie Briest“ und „Der große Gatsby“, vor allem auch James Joyces‘ „Ulysses“, den Christians Freund John einmal jährlich liest. Das schafft einen kleinen Rettungsanker, der davor bewahrt, in den Grübeleien und unzuverlässigen Erinnerungen verloren zu gehen.

Das sich im Roman immer wiederholende Mantra des Erzählers – „Es war ein schlampiger Tag. Dies ist eine einfache Geschichte.“ (S. 7) – gilt sicherlich nur in Teilen, denn „Ich war Diener im Hause Hobbs“ ist viel mehr als nur eine einfache Geschichte: spannende Spurensuche, ironischer Blick auf die schweizerische und allgemein westliche High Society, gekonnt erzählt im Jonglieren mit verschiedenen Strängen und Zeitebenen. Ein toller, unterhaltsamer und trotzdem anspruchsvoller Roman!

Ich war Diener im Hause Hobbs. Verena Roßbacher. Kiepenheuer & Witsch. 2018.

 

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