Keine Einigung in Sicht

von | 02.09.2023 | Belletristik, Buchpranger

Mit „Zwischen Welten“ haben Juli Zeh und Simon Urban einen Dialogroman geschrieben, der enge Freunde durch gesellschaftskritische Themen entzweit. Nur unter permanenter Anspannung konnte Seitentänzerin Michelle-Denise den Roman beenden.

Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seitdem sich Stefan und Theresa das letzte Mal gesehen haben. Damals standen sie sich nahe und waren sich in allem einig, und heute? Heute scheint nichts mehr von den Gemeinsamkeiten übrig zu sein. Während Theresa nach dem Studium in ihr Heimatdorf in Ostdeutschland gezogen ist, um den Bio-Milchhof ihres Vaters zu übernehmen, hat Stefan in Hamburg Karriere bei Deutschlands größter Wochenzeitung gemacht. Beide kämpfen an unterschiedlichen Fronten: Theresa um ihren Hof und Stefan gegen den Klimawandel. Können die zwei Menschen, die einmal füreinander Familie waren, trotz aller Gegensätze wieder zueinander finden?

„Zwischen Welten“ ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Der erste Teil umfasst eine Zeitspanne von circa vier Monaten. In diesem Abschnitt lernt man die Protagonisten kennen und sieht sofort das Problem: Sie sind komplett unterschiedlich und streiten sich durchgehend und ohne Scham. Der zweite Teil thematisiert eine langsame Annäherung der Protagonisten aneinander. Der dritte Teil beansprucht, wie der zweite Teil, einen Zeitraum von jeweils ein bis zwei Monaten und lässt eine deutlich vertrautere Kommunikation zwischen Theresa und Stefan durchblicken. Die Wutausbrüche sind nahezu verschwunden. Es finden nur noch wenige Beleidigungen statt und die Stimmung wirkt fast schon romantisch.

Radikale Standpunkte

Der Roman ist in Dialogform geschrieben. Die Protagonisten Stefan und Theresa schreiben sich ausschließlich Nachrichten über WhatsApp und Telegram oder per Mail. Während mir dies anfangs sehr gut gefiel, begann es mich jedoch schon nach wenigen Nachrichten im ersten Abschnitt zu nerven. Komplett voneinander abweichende Standpunkte bezüglich Themen wie Gendersprache, Klimapolitik und Rassismus sowie die damit einhergehenden Streitereien erlaubten mir keinen entspannten Lesefluss. Im Gegenteil, ich war stets innerlich angespannt, wenn ich die Dialoge las. Mal konnte ich Thereses Standpunkt nachvollziehen, dann Stefans, dann wieder Theresas und so weiter, bis mich letztendlich beide Parteien so sehr nervten, dass ich das Buch nicht mehr weiterlesen wollte. Es war mir unbegreiflich, warum diese beiden einmal enge Freunde oder gar ein verliebtes Paar gewesen sein sollten. Und wie man nur so stur auf einem Standpunkt verharren kann, ohne Verständnis für die andere Meinung aufzubringen.

Zu viel Aggression

Nachdem ich keine Freude mehr am Lesen des Buches hatte, habe ich dennoch bis zum Ende durchgehalten und … es bereut. Zugegeben, die Stimmung innerhalb des Buches ändert sich ab dem zweiten Abschnitt deutlich, aber es war mir einfach nicht mehr möglich, einen Zugang zu den Protagonisten zu finden. Ich kann nachvollziehen, dass dieser Roman polarisiert, weil er wichtige gesellschaftlich aktuelle Themen behandelt. Doch diese radikale Verteidigung von Standpunkten und anhaltenden Aggressionen in den Dialogen haben mich nicht angesprochen. Das dramatische, unabwendbare Ende kam dann für mich auch nicht mehr sonderlich überraschend.

Zwischen Welten. Juli Zeh. Simon Urban. Luchterhand. 2023.

Weiterlesen:
– Rezension zu „Leere Herzen“ von Juli Zeh
– Rezension zu „Nullzeit“ von Juli Zeh

Michelle-Denise Oerding

Michelle-Denise Oerding

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