„Er liest das Buch ja sowieso nicht.“

von | 20.06.2016 | Gedankenkrümel, Kreativlabor

[Krümel] Schulbücherei

Bücherbändigerin Elisabeth arbeitet außerhalb der Bücherstadt als Lehrerin. Sie verkündet eine Ode an die Schulbüchereien.

Wir schreiben das Jahr 2015. An unserer Schule wird das alljährliche Frühlingsfest geplant: Die Schüler führen Lieder und Tänze auf, es gibt Selbstgebasteltes zu kaufen und alle paar Jahre gibt es auch Bücher. Diese Bücher entstammen der gut sortierten Schulbücherei dieser Schule. Alle paar Jahre wühlen sich ein paar unerschrockene Bücherwürmer, Lehrerinnen, durch die kleinen Schätze und „sortieren aus“.
Als Teil dieses Büchereiteams kann ich sagen: Schätze kann man da durchaus finden. Bücher aus den 60er Jahren, welche die Nostalgie wecken. Schöne Illustrationen im „alten“ Stil, vergilbte Seiten, Serifenschrift. Leider nichts mehr, wonach die Kinder von heute greifen und – zugegebenermaßen – ich auch nicht. Gerade dann, wenn die Schriftgröße einer Größe 8 gleicht und der Aufbau der Seiten ohne Punkt, Komma und Absatz erscheint. Solche Bücher werden aussortiert.

Beim Frühlingsfest gibt es dann einen eigenen Stand, an welchem diese Bücher gegen eine freiwillige Spende mitgenommen werden können. Das Geld fließt natürlich in Neuanschaffungen für die Bücherei. Ein schöner Kreislauf, nicht? Wäre da nicht der trübe Hintergedanke, dass alle Bücher, die keinen neuen Besitzer finden, in die Tonne wandern. Ich hasse es, Bücher wegzuwerfen.

Nun ja, weiter im Text. Das Frühlingsfest läuft an. Das Interesse ist noch verhalten. Hin und wieder verirrt sich jemand an den Büchertisch, kramt ein wenig, nimmt ein Buch mit, spendet etwas. Nach einer Stunde immer noch so viele Bücher. Das wird wohl ein schlimmes Ende nehmen mit den kleinen Schätzen.
Doch dann werden Schüler auf den Tisch aufmerksam. Sie bemerken, dass sie sich mit ihrem kleinen Taschengeld, das sie mitbekommen haben, um sich etwas zu kaufen, durchaus auch Bücher leisten können: Eines oder sogar mehrere. Von da an ist am Büchertisch ständig Bewegung. Es wird gesucht, gekramt, gefeilscht (wenn man das bei Spenden so nennen kann) und stapelweise mitgenommen. Die Reihen lichten sich. Leider gibt es auch die Gegenbeispiele wie: „Oh, das kostet etwas. Nein, dann schauen wir mal weiter.“ Aber das kennt man ja. Geschenkt ist noch zu teuer.

Zurück zu den fröhlichen und strahlenden Kindern, die ein Buch oder mehr ausgesucht haben: Die letzten Minuten des Festes sind angebrochen und es liegen noch immer Bücher da. Bücher, die in die Tonne wandern würden. Dieses Schicksal wird aber durch nur einen Satz abgewendet: „Nehmt mit. Die sind jetzt gratis.“ Erst einmal große Verwirrung. Gratis? Geschenkt? Doch sobald die Kinder gemerkt haben, was gemeint ist, wird gebunkert. Zum Zeitpunkt t-0 liegt kein einziges Buch mehr auf dem Tisch und die Kartons sind leer. Kein einziges Buch findet den Weg in die Tonne. Alle finden ein neues Zuhause.

Nun, ob die Bücher alle gelesen werden würden? Wahrscheinlich nicht. Aber sie stehen in einem Regal. Vielleicht würden sie irgendwann aussortiert werden, vielleicht an andere weitergeschenkt, vielleicht wirklich gelesen. Aber das Angebot steht bei den Schülern in den Regalen. Es ist wie bei allem anderen auch. Wenn man das Angebot nicht schafft und der Zugang nicht gewährleistet ist, wie soll man dann Kinder zum Lesen bringen? Wenn sie an Büchern nur vorbeigehen und sie durch Schaufenster sehen, wird es schwer für sie, einen Bezug dazu aufzubauen.

Warum ich das alles erzähle? Mir geht eine Diskussion vor zwei, drei Jahren nicht mehr aus dem Kopf, in welcher die Frage aufkam, warum eine Schulbücherei überhaupt notwendig wäre. Warum sollte man nicht besser in die örtliche oder regionale Bücherei gehen, unter anderem auch die Eltern in die Pflicht nehmen? Wenn ich daran denke, wie viele Schüler jede Woche in die Bücherei stürmen, um im Sortiment zu stöbern und sich neue Bücher auszuleihen, oder wie sie mit Spannung und Freude in den eigentlich alten Büchern beim Frühlingsfest gewühlt haben und mit Stapeln von Büchern auf den Armen nach Hause gewatschelt sind, fällt mir nur eines ein: GENAU DAFÜR!

Bücherstadt Magazin

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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