Eine Füchsin, ein Mädchen und viele Gefühle

von | 28.04.2019 | Auditorium, Hörbücher

Was passiert mit uns, wenn wir tot sind? Vielleicht werden wir als Tiere wiedergeboren? Als Bär vielleicht. Oder als Fuchs? Die elfjährige Jules hat sich mit ihrer Schwester Sylvie viele Gedanken darüber gemacht. Aber da wusste Jules noch nicht, dass sie ihre Schwester verlieren würde. Zeichensetzerin Alexa hat Jules‘ Geschichte in „Renn, Senna, renn“ von Kathi Appelt und Alison McGhee, gelesen von Johann von Bülow, gelauscht.

Jules‘ Familie wird seit dem Tod ihrer Mutter von stiller Trauer begleitet. Doch anders als Sylvie und ihr Vater erinnert sich Jules kaum noch an sie. Manchmal wird sie wütend auf sich selbst, aber auch auf Sylvie und ihren Vater, weil sie keine Erinnerungen mit ihnen teilen kann. Wenn sie wütend ist oder aufgewühlt, dann beginnt sie, ihre Steinsammlung zu sortieren. Steine sind in dieser Geschichte mehr als nur ein Hobby oder Talismane – sie symbolisieren Wünsche und Hoffnung. Und damit die Wünsche in Erfüllung gehen, müssen sie auf die Steine geschrieben und diese in den Fluss geworfen werden. Sylvies innigster Wunsch ist es, noch schneller zu rennen. Jules hingegen hat keinen, der ihrer Meinung nach nur annähernd so groß wäre.

Der Fluss ist allerdings gefährlich und gehört zu den verbotenen Orten, die Jules und Sylvie niemals betreten dürfen. Das betont ihr Vater immer wieder. Als die beiden Schwestern dieses Verbot ignorieren, beginnt die Tragödie: Sylvie rennt, statt mit Jules zurück zu laufen, voran – so schnell, dass sie sich nicht mehr halten kann, und stürzt in den reißenden Fluss.

Trauerbewältigung und Neuanfang

Zur gleichen Zeit wird im Wald die Füchsin Senna geboren und deren Mutter merkt schon bald, dass ihre Tochter anders ist als andere Füchse. Zunehmend spürt Senna, dass sie irgendetwas mit Jules verbindet. Diese riecht vertraut und Senna fühlt sich zu ihr hingezogen. Senna muss Jules eine wichtige Botschaft von Sylvie überbringen und irgendwann begreift sie, was sie zu tun hat.

Ab der Geburt der Füchsin wird die Geschichte im Wechsel aus der Sicht von Senna und Jules erzählt. Während Senna wächst und das Jagen lernt, verarbeitet Jules den Tod ihrer Schwester. Es ist die „Nach der Sylvie Zeit“, in der alles anders ist als vorher. Der Verlust hat Spuren hinterlassen, schmerzliche Gedanken, Vorwürfe. Es ist eine Zeit des Stillstands und das Zurückkehren in den Alltag fällt weder dem Vater noch Jules leicht.

Spätestens als Jules in die Schule zurückkehrt und sich der Tatsache stellen muss, zum ersten Mal ohne ihre Schwester dort zu sein, wird die Geschichte ergreifend emotional. Die herzliche Aufnahme der Mitschülerinnen und Mitschüler hilft Jules, sich willkommen und geborgen zu fühlen – auf der anderen Seite erinnert sie alles, was sie in der Schule sieht, an ihre Schwester.

Wünsche und Hoffnung

„Renn, Senna, renn“ sorgt für eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Trauer, Wut, Freude, Hoffnung. Johann von Bülows einfühlsame Lesart unterstützt die emotionale Ebene, ohne zu sehr ins Dramatische zu rutschen. Zwischen Inhalt und Sprachklang bleibt stets noch ausreichend Raum, um Verknüpfungen herstellen und sich Gedanken machen zu können. Wie würden wir an Jules‘ Stelle reagieren? Wie würden wir uns fühlen? Was würden wir tun? Bülow schafft es gekonnt, die Emotionen und die Atmosphäre der Geschichte sprachlich einzufangen und zu transportieren, ohne sie den Zuhörerinnen und Zuhörern aufzuzwingen.

„Renn, Senna, renn“ ist eine traurige, ergreifende Geschichte, aber sie hat auch etwas Tröstliches: Die Vorstellung, dass die Seele eines Verstorbenen irgendwo noch weiterlebt, uns begleitet, vielleicht auch auf uns wartet, macht Mut und weckt Hoffnung – zumindest kann der Gedanke daran helfen, wieder Kraft zu schöpfen.

Renn, Senna, renn. Kathi Appelt, Alison McGhee. Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn. Sprecher: Johann von Bülow. 4h, 43 Min., ungekürzt. 2018. Ab 10 Jahren.

 

Bücherstadt Magazin

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