Eine bittersüße Sommerromanze

von | 04.08.2018 | #Kunterbunt, Filme, Filmtheater, Specials

Das oscarprämierte Liebesdrama „Call me by your name“ behandelt das Thema Homosexualität in einer ungezwungenen und klischeebefreiten Art. Bücherstädter Florian Fabozzi schaut auf die Liebesgeschichte zwei junger Männer, die endet, bevor sie richtig beginnen konnte.

1983: In einem Landhaus im Norden Italiens verbringt der 17-jährige Elio Perlman (Timothée Chalamet) den Sommer mit seiner Familie. Elio ist belesen und ein begnadeter Pianist. Wenn nicht gerade seine französische Freundin Marzia an seiner Seite ist, verbringt er seine Zeit am liebsten allein mit seinen Instrumenten und Musiknoten. Das Alleinsein hat ein Ende, als der amerikanische Student Oliver (Armie Hammer) im Hause Perlman einzieht und im Nachbarzimmer unterkommt.

Elios Vater (Michael Stuhlbarg), ein Professor für Archäologie, hat Oliver über den Sommer eingeladen, um ihn bei seiner Forschung zu unterstützen. Abgesehen von ihrem jüdischen Glauben haben Elio und Oliver wenig gemein, weshalb sie zunächst Distanz zueinander halten. Mit seiner extrovertierten Art erlangt Oliver schnell Beliebtheit im Dorf – zum Unverständnis von Elio, der ihn für arrogant hält. Bald jedoch kommen sie sich näher, unternehmen öfter lange Fahrradtouren. Elio entwickelt tiefe Gefühle für den Gast und nach anfänglichen, zurückhaltenden Zärtlichkeiten beginnt bald eine Affäre voller sinnlicher Intimität. Doch beide wissen, dass es nur eine Liebe auf Zeit ist …

„Call me by your name“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman und ist eine Coming-of-Age-Romanze zwischen zwei jungen Männern, die trotz vieler Unterschiede ihre Herzen aneinander verlieren. Regisseur Luca Guadagnino geleitet die Zuschauenden mit einer angenehm ruhigen Hand durch den Film. Er verzichtet auf das Klischee der „Liebe auf den ersten Blick“ und stellt die Beziehung in all seinen Entwicklungsstufen dar. So „flüchten“ sich Oliver und Elio zunächst in Flirts mit Mädchen des Ortes und es dauert eine Weile, bis sie ihre Gefühle füreinander richtig einordnen können. Großartig ist die Kameraarbeit: In einigen Sequenzen ist sie gefühlt minutenlang auf Elio gerichtet und die Zuschauer erkennen, was in seinem Kopf vorgeht – Verwirrung, Leugnung, Scham und zwischendurch Wut.

Dem Thema Homosexualität nähert sich Guadagnino forsch und ungezwungen. Neben einiger erotischer Höhepunkte sind es die subtilen Zärtlichkeiten und die simple Zweisamkeit, die ihre Liebe zum Ausdruck bringen. Abgedroschene Schwulen-Klischees werden hier nicht bedient. Homosexualität wird nicht skandalisiert oder zu einem „Problem“ gemacht – tatsächlich wird sie nicht mal benannt. Guadagnino ist darum bemüht zu verdeutlichen, dass es im Wesentlichen keinen Unterschied zwischen der ersten Liebe von Mann und Frau und der von zwei Männern oder Frauen gibt.

Durch die malerische, blühende Idylle und dem italienischen Lebensgefühl bietet der Film das optimale Setting für eine Bilderbuchromanze. Wenn Elio und Oliver sich an einem Bach sitzend die Hände streicheln, fühlen auch die Zuschauenden plötzlich wieder das nervöse Kribbeln im Bauch, das die erste Liebe zu einer der prägendsten Erfahrungen macht. Doch bekanntlich hält sie nur selten ewig. Im Gefühl der Unzertrennlichkeit gehen sie auseinander und der Film erhält sein bittersüßes Element. Eine Parallelität der schönen Erinnerungen und des traurigen Verlusts. „Right now, there’s sorrow, pain. Don’t kill it and with it the joy you’ve felt“, sagt sein Vater zu Elio und der muss erkennen, dass auch Abschiednehmen zum Erwachsenwerden dazugehört.

Ein Sonderlob gebührt der musikalischen Untermalung von Sufjan Stevens. Die wunderschönen, verträumten und leicht melancholischen Folksongs „Mystery of Love“ und „Visions of Gideon“ sind wie eine akustische Interpretation jener Gefühle, die im Inneren der Protagonisten Wellen schlagen.

Call me by Your Name. Regisseur: Luca Guadagnino. Darsteller u.a.: Timothée Chalamet, Armie Hammer. Italien/Frankreich/USA/Brasilien. 2017. FSK 12.

Ein Beitrag zum Special #Kunterbunt. Hier findet ihr alle Beiträge. Diese Rezension ist außerdem in der Uni-Special-Ausgabe 3 erschienen.

 

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