Ein Krimi für regnerische Herbsttage

von | 07.10.2014 | Belletristik, Buchpranger

Wie angespannt und voller Misstrauen die Atmosphäre kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges ist, zeigt Angelika Felenda mit ihrem Kriminalroman „Der eiserne Sommer“. Darin ermittelt Kommissär Reitmeyer in mehreren Mordfällen, deren Wurzeln sich bis in die höchsten Schichten der Gesellschaft erstrecken. – Von Buchstaplerin Maike

München, 1914: Zwischen dem Attentat auf Franz Ferdinand und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ereignen sich Morde, die in einer angespannten politischen Lage wie dieser weitreichende Skandale auslösen können: Kommissär Reitmeyer, der unzufrieden damit ist, für den Polizeipräsidenten Kriminalstatistiken zu fälschen, beginnt im Todesfalles eines jungen Mannes zu ermitteln, der am Isarufer gefunden wurde. Pikant wird alles dadurch, dass dieser nicht nur im Homosexuellen-„Milieu“ Münchens aktiv war, sondern auch noch Verbindungen zu Offizieren hatte.

Die Ermittlungen führen Reitmeyer nicht nur in höchste gesellschaftliche Kreise, sondern auch politische und militärische – und das, obwohl die Polizei eigentlich nicht gegen das Militär vorgehen darf. Noch dazu scheinen alte Kindheitsfreunde des Kommissars in die Sache verwickelt zu sein. Bald taucht eine zweite Leiche auf, wodurch sich der Verdacht erhärtet, dass hier Rache an Erpressern genommen wurde. Doch wer hat ein Motiv? Ein homosexuelles Erpressungsopfer oder ein Offizier, der um seine Ehre bangt? Reitmeyer und sein übereifriger Polizeischüler Rattler kommen nach und nach einer großen Verschwörung auf die Spur…

„Wer schwach ist, muss untergehen.“

So heißt es mehrfach in dem Kriminalroman, der den Auftakt zu einer Serie um Kommissär Reitmeyer bildet. Und genau so lässt sich die Stimmung und Gesinnung wiedergeben, die im Buch vorherrscht: Zwischen nationalistischem und konservativem Gedankengut, das auch die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg prägt, zeichnet Felenda ein München und ein Deutschland, die im Umbruch begriffen sind. Wer sich darin nicht behaupten kann, oder unbequem ist, muss um seine Existenz fürchten. Diese Spannung wird meist gut gehalten. Die Ermittlungen werden ergänzt durch Berichte von Offizieren, sodass der Leser bald mehr um die Verschwörung und die Morde zu wissen glaubt, als Reitmeyer. Lediglich die Perspektivwechsel zwischen den Figuren bremsen den Lesefluss etwas, da mitunter nicht sofort klar ist, wo man sich gerade befindet.

Die Figuren sind gut gezeichnet und lockern die Geschichte auf. Reitmeyer ist als Spröder, junger Kommissär genauso glaubwürdig wie der Polizeischüler, dessen „Sherlock-Holmes-Methoden“ belächelt werden. Darüber hinaus bietet sich ein guter Einblick in das München vor hundert Jahren.

Ein Wermutstropfen ist für mich, dass ein Roman, der sich in weiten Teilen mit den „homosexuellen Zirkeln“ Münchens beschäftigt, diese recht oberflächlich darstellt. Wenig sensibel und weitestgehend kriminalisiert werden die Betroffenen abgebildet. Auch wenn 1914 Homosexualität noch unter Strafe stand, hätte man damit differenzierter umgehen können.

Der Roman, der bei mir aufgrund des spektakulären Trailers hohe Erwartungen geweckt hat, kann diese nur zu einem gewissen Grad aufrecht erhalten. Kein perfekter Krimi, aber ein solider. Ich bin gespannt, wie der nächste Band der Reitmeyer-Serie ausfallen wird. Bis dahin kann ich mit „Der eiserne Sommer“ diesen hochpolitischen Krimi, der noch dazu viel Lokalkolorit vermittelt, für regnerische Herbsttage empfehlen.

Der eiserne Sommer. Angelika Felenda. Suhrkamp, 2014.

 

Bücherstadt Magazin

Bücherstadt Magazin

Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

1 Kommentar

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir sind umgezogen!

Wir sind kürzlich umgezogen und müssen noch einige Kisten auspacken. Noch steht nicht alles an der richtigen Stelle. Solltet ihr etwas vermissen oder Fehler entdecken, freuen wir uns über eine Nachricht an mail@buecherstadtmagazin.de – vielen Dank!

Newsletter

Erhaltet einmal im Monat News aus Bücherstadt. Mehr Informationen zum Newsletter gibt es hier.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner