Der Roman „Ein Lied vom Ende der Welt“ von Erika Ferencik führt uns Leserinnen und Leser in eine faszinierende arktische Welt. Satzhüterin Pia hat die Geschichte nach anfänglichen Schwierigkeiten voller Spannung verfolgt.
Die Linguistin Valerie ist spezialisiert auf nordische Sprachen – Ängste halten sie jedoch davon ab, spannende Forschungsreisen anzutreten. Über diese Grenze tritt sie, als ein Kollege ihres verstorbenen Bruders mit einem besonders faszinierenden Fall auf sie zukommt: Wyatt hat in der Arktis ein erfrorenes Inuit-Mädchen entdeckt, das unglaublicherweise nach dem Auftauen wieder ins Leben zurückfand. Doch niemand versteht seine Sprache und Val reist an den Polarkreis, um sie zu erforschen und dem kleinen Mädchen zu helfen.
Langsamer Spannungsaufbau
Die Geschichte nimmt eher langsam an Fahrt auf. Die erste Hälfte des Romans hat einige Längen und fokussiert sich vor allem auf die Ängste und Probleme der Protagonistin. Als Val am Polarkreis ankommt, zeigen sich schnell erste Spannungen zwischen ihr und Wyatt, dem Leiter der Forschungsstation. Besonders die Tatsache, dass Val die Umstände des Todes ihres Zwillingsbruders sehr beschäftigen und sie sich zunehmend fragt, welche Rolle Wyatt hierbei gespielt hat, bergen großes Konfliktpotential in sich. Das Thema bleibt präsent – bis zum Ende –, aber nach und nach rückt das Schicksal des kleinen Mädchens Najaa in den Vordergrund. Im gleichen Maße wie das Vertrauensverhältnis zwischen Valerie und Naaja wächst, bauen sich die Spannungen in der Station weiter auf. Nicht nur zwischen Wyatt und Val, sondern auch den weiteren Mitgliedern.
Ein Thriller im Eis
Die Lage spitzt sich zu, nach und nach macht Val Entdeckungen, die ihr zeigen, wie die Forschungsziele von Wyatt wirklich aussehen und welche Motive die anderen antreiben. Aber vor allem wird der Aufenthalt zu einem Kampf um Leben und Tod für Naaja. Die letzten etwa 200 Seiten des Buches sind die reinsten Pageturner und das Schicksal Naajas fesselt ebenso wie die bildgewaltige Sprache.
Erika Ferencik sowie ihren Übersetzern ins Deutsche, Ulrika Wasel und Klaus Timmermann, gelingt es, die Szenerie des ewigen Eises, die Unwirklichkeit der faszinierenden Landschaft unglaublich gekonnt einzufangen. Auch die geschilderte Atmosphäre eines so beengten Lebensraumes, wie einer Forschungsstation, der Beklemmung und räumlichen wie auch zwischenmenschlichen Enge, zieht die Lesende direkt in die Szene und die Situation. Dabei sind die Figuren längst nicht immer sympathisch, jedoch sehr genau ausgearbeitet. Ihre Beweggründe sind nachvollziehbar und alle sehr verschieden. Wyatt bleibt dabei undurchschaubar, was genau zu seinem wechselhaften und auch gefährlichen Charakter passt. Der Hauch Magie funktioniert in der Geschichte sehr gut und Themen wie die Klimakrise sind allgegenwärtig und eindringlich aufgegriffen.
„Es war halbmondförmig und hautfarben, eine Farbe, die man hier draußen niemals sieht, nicht so“, sagt Wyatt auf Seite 69. Und damit wären wir bei einem weiteren Kritikpunkt, neben den anfänglichen Längen der Geschichte: Welche Farbe hat denn bitte die Haut? Welche eine Farbe ist „hautfarben“? Über zwei solcher Stellen bin ich sehr unsanft gestolpert.
Insgesamt hat „Ein Lied vom Ende der Welt“ mich sehr gefesselt, Naaja und Val haben mich berührt und ich bin in die arktische Welt mit dem Hauch Magie und der guten Portion Dystopie aber auch Realismus gerne eingetaucht.
Ein Lied vom Ende der Welt. Erica Ferencik. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Goldmann. 2022.
0 Kommentare