„Wie ich mir das Glück vorstelle“ ist auf mehrere Arten einzigartig. Erzähler und Protagonist der Geschichte ist ein verkrüppelter Junge mit „Rückenspinne“ – einer Art Korsett – der eines Tages beschließt, aus dieser chaotischen, gefährlichen Welt zu fliehen. Seine Geschichte, im Präsens und mit viel Feingefühl erzählt, entfaltet sich stückweise: Der Junge wächst auf einem Bauernhof auf, bis seine Familie umgesiedelt wird. Soldaten kommen in die Stadt, besetzen die Notwohnungen, und sie müssen erneut umziehen. Schließlich wandert der Junge in Begleitung eines Trickbetrügers, den er den „Dschib“ nennt, und einem Hund namens Tango, in die Stadt der zwei Brücken. Gemeinsam schlagen sich die beiden Jungen durch den Kriegsalltag, sammeln Patronenhülsen, aus denen sie das Schießpulver kratzen und Zigarettenstummel, die sie gemeinsam rauchen.
Martin Kordić trifft mit der Erzählung des Jungen im Krieg, der Tage beim Zählen zu Elefanten macht – jeden Tag fügt er einen Elefanten der Mauer neben seiner Schlafkoje hinzu – die Entscheidung zu einer ungewöhnlichen Perspektive. Während es dem Leser im ersten Augenblick noch schwer fällt, sich in die Geschichte einzufühlen, streift man bald mit dem Jungen und dem Dschib durch das zerstörte Gebiet und an Soldatenposten vorbei und gewinnt das merkwürdige Trio lieb. Es ist die Perspektive eines jungen Mannes, der die Welt zu verstehen versucht und der seinen Freunden, wenn sie verzweifeln oder traurig sind, erzählt, wie er sich das Glück vorstellt.
Schlägt man „Wie ich mir das Glück vorstelle“ auf, stellt man sich als Leser unwillkürlich selbst die Frage: Wie stelle ich mir das Glück vor? Martin Kordić verweigert die Antwort auf diese Frage und überlässt es der eigenen Fantasie.
Wie ich mir das Glück vorstelle, Martin Kordić, Hanser, 2014
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