Der Osten, der Westen und andere Sorgen

von | 23.10.2015 | Belletristik, Buchpranger

Heckenheim im Heckental: Hier, im kleinen Nest in Baden-Württemberg, ist die Welt noch in Ordnung, finden die Heckenheimer selbst. Dass aber auch hier nicht alles so gutbürgerlich idyllisch ist wie es scheint, hat Worteweberin Annika in Rainer Dohs neuem Roman „1990 – Ganz andere Sorgen“ erfahren.

1990. Aus Ost- und Westdeutschland wird eins. Währungsunion, Reisefreiheit und Familienzusammenführungen verändern das Leben Tausender. Und das auch im Heckental. Gottfried Käfer, Leiter eines erfolgreichen Reiseunternehmens und stolzer Vater, wittert seine Chance: Er will expandieren, Busreisen für die Ostdeutschen anbieten und Filialen in Erfurt, Jena und Apolda eröffnen. Seine Tochter Veronika hingegen kämpft zur gleichen Zeit mit ganz anderen Problemen, denn auch wenn sie schon in der Schule einen genauen Lebensplan erstellt hat, will sich jetzt, sie ist über 30, einfach kein (fruchtbarer) Mann finden, mit dem sie diesen Plan umsetzen kann. Als auch Adoption und künstliche Befruchtung keine Lösung mehr sind, muss sich Veronika etwas anderes einfallen lassen, und das führt zu reichlich Verwicklungen. Und auch ansonsten läuft für die Käfers nicht alles wie am Schnürchen…

Nicht umsonst ist der Untertitel „Roman einer Familie“, denn die Leser begleiten Familie Käfer durch all die Umbrüche der 90er Jahre. Erzählt allerdings wird aus der Sicht eines Bekannten, der manchen kritischen bis säuerlichen Blick für die Entwicklungen übrig hat, aber letztendlich doch irgendwie in alles verwickelt ist. Das macht die Lektüre kurzweilig und sorgt für den ein oder anderen Lacher.

Auch sonst ist „1990 – Ganz andere Sorgen“ interessant zu lesen. Insbesondere auch, wer die DDR und die Wiedervereinigung nicht selbst miterlebt hat, kann einen spannenden Einblick in die damaligen Geschehnisse bekommen und sich danach besser vorstellen, was zu dieser Zeit in den Köpfen der Menschen vor sich ging.

Sprachlich überzeugt Doh ebenfalls mit einer sehr klaren, ansprechenden Schreibe. Lustig wird es, wenn die Figuren und teilweise auch der Erzähler in Mundart verfallen und „der“ durch „wo“ ersetzen – aber das bleibt vollkommen im Rahmen und wirkt sehr passend.

Warum „1990 – Ganz andere Sorgen“ trotzdem nicht restlos überzeugt? Es mag daran liegen, dass die Familie Käfer zwar sehr dramatischen Ereignissen unterliegt, aber diese teilweise nicht spannend genug erscheinen, um über 250 Seiten hinweg durchgehend zu fesseln. Wer dennoch dran bleibt, wird mit einer unterhaltsamen Lektüre belohnt und kann aus Dohs Roman einiges mitnehmen.

1990 – Ganz andere Sorgen. Roman einer Familie. Rainer Doh. Divan Verlag. 2015.

Annika Depping

Annika Depping

Als Chefredakteurin versucht Annika in der Bücherstadt den Überblick zu behalten, was mit der Nase zwischen zwei Buchdeckeln, zwei Kindern um die Füße und dem wuchernden Grün des Kleingartens im Nacken nicht immer einfach ist. Außerhalb der Bücherstadt ist Annika am Literaturhaus Bremen mit verschiedenen Projekten ebenfalls in der Welt der Geschichten unterwegs.

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