Das Dschungelbuch wird erwachsen

von | 20.06.2021 | #BKtastisch, Filme, Filmtheater, Specials

Die Sache mit den Blind Dates ist ja die: Du weißt nicht, was dich erwartet. Tatsächlich ist die 2018 erschienene Verfilmung des Dschungelbuch-Stoffes von Andy Serkis an mir vorbeigegangen – Zeit für ein Blind Date! In „Mogli: Legende des Dschungels“ ist die Erzählung meiner Kindheit eindeutig erwachsen geworden. – Von Satzhüterin Pia

Wir sind wohl alle über die Adaption von Disney in Kontakt mit der Dschungelbuch-Erzählung Rudyard Kiplings gekommen: Mogli wird im Dschungel als Findelkind bei Wölfen großgezogen. Seine Freunde sind der gemütliche Bär Balu und der fürsorgliche Panther Bhagira. In Acht nehmen muss er sich vor dem Tiger Shir Khan und der Schlange Kaa.

Nachdem Disney 2016 eine etwas düsterere Realverfilmung mit computeranimierten Tieren unter dem Titel „The Jungle Book“ herausbrachte, folgte nur zwei Jahre später ein weiteres Remake des so bekannten Stoffes – diesmal aber keine Disney-Produktion. Irgendwie logisch, dass Regisseur Andy Serkis seiner Version etwas Neues mitgeben musste … und dieses Neue ist noch dunkler und somit näher dran am Original.

Nix mehr mit Gemütlichkeit

Wer damit rechnet, in „Mogli: Legende des Dschungels“ wieder auf tanzende und singende Tiere zu treffen, wird unsanft enttäuscht. Auch bei Serkis geht es um Mogli, ein Findelkind und Waisenjunge, der Dank des Panthers Bhagira im Rudel der Wölfe aufwachsen darf. So weit so gut – und der Rest? Auch hier haben wir wieder die bekannten Gesichter Bhagira und Shir Khan und Balu, nur dass man spätestens an Balu merkt, dass es sich längst nicht mehr um das knuffige und kinderfreundliche Abenteuer mit fröhlichem Disney-Gesang handelt. „Bekannte Gesichter“ passt definitiv nicht mehr: Balus Körper und besonders sein Gesicht sind von Narben zerfurcht, seine Lefze hängt einseitig herunter, er ist streng und nicht selten hasserfüllt.

Auch die Geschichte weicht ab. Mogli wird früh von den anderen Tieren aus dem Dschungel in das Dorf der Menschen verstoßen, ausgerechnet vom Panther-Freund Baghira intendiert. Langsam lebt er sich ein, verdaut den Verrat seiner vermeintlichen Familie und Freunde. Als diese ihn um Hilfe bitten, weil sie unter dem Terror Shir Khans leiden, lehnt Mogli ab. Er lebe nun bei den Menschen, man wollte ihn im Dschungel ja nicht haben. Erst als Mogli erkennt, was für ein Mensch sich seiner angenommen hat, nämlich ein tierfeindlicher Trophäen-Jäger, übernimmt er Verantwortung und kämpft für sich, seine Freunde, seine richtige Familie und erweist sich als ganz eigene Legende – nicht Wolf, nicht Mensch.

Motion-Capture und Düsternis

Serkis ist mit seiner eigenen Motion-Capture-Firma inzwischen so weit, dass die Technik in realen Schauplätzen eingesetzt beziehungsweise umgesetzt werden kann. Somit ist nicht alles computergemacht und entsprechend weniger gekünstelt. Das funktioniert aber nicht immer so gut: Zwar erkennen wir die Schauspieler in den Gesichtern, den Augen der tierischen Rollen (besonders Christian Bale als Bhagira und Benedict Cumberbatch als Shir Khan), das lässt diese aber auch weit weniger wie Tiere wirken. Sie werden noch anthropomorpher dargestellt und an einigen Stellen mutet das eher grotesk an. Shir Khan ist so klobig und entstellt, es wirkt etwas übertrieben. Oder Balu, oh du meine Güte, du lieber knuffiger Balu. Davon bleibt nichts mehr übrig. Auch die Wölfe sehen leider kaum wie Wölfe aus – zu spitz die Gesichter, zu bunt ihre Fellmuster.

In dieser eindeutig nicht kindgerechten Geschichte, die düster den harten Kampf um ein bisschen Gerechtigkeit in einer brutalen Welt zeigt, liegt die Chance des Filmes. Er bietet eine ganz neue Aufarbeitung des so gut bekannten Stoffes in einem gänzlich anderen Ton. Damit verleiht er den Figuren einen neuen Charakter. Mehr als gewöhnungsbedürftig und nicht immer gelungen ist es dabei allemal.

Insgesamt konnte mich der Film die gesamte Länge über gut unterhalten. Balu ist mir mit deutlich mehr Gemütlichkeit aber dennoch lieber.

Mogli: Legende des Dschungels. Regie: Andy Serkis. Drehbuch: Callie Kloves. Mit Rohan Chand, Benedict Cumberbatch, Christian Bale, Andy Serkis u.a. Netflix. USA. 2018. FSK: ab 12 Jahren. // Bild: eigener Screenshot

[tds_note]Ein Beitrag zum Special #BKtastisch. Hier findet ihr alle Beiträge. // Aus der Reihe Blind Date im Filmtheater: Neugierige Redaktionsmitglieder wählen aus einer zuvor von anderen Mitgliedern erstellten Liste einen Film, den sie noch nicht gesehen haben – und lernen ihn kennen.[/tds_note]
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