Bloodborne: fürchterlicher Kosmos

von | 26.10.2017 | #Todesstadt, Digitale Spiele, Specials, Spielstraße

Was den Menschen die meiste Furcht einflößt, ist das Unbekannte. So oder so ähnlich schrieb H.P. Lovecraft und dieses Motto bildet das thematische Grundgerüst von „Bloodborne“, einem Seitenableger der From Software „Dark Souls“-Reihe. In „Bloodborne“ sind die Spielenden mit einer Galerie menschlicher Urängste und der Ausartung einer davon faszinierten und besessenen Theokratie konfrontiert. – Von Codejäger Peter

Dieses furchterregende Unbekannte ist es auch, was die Handlung dominiert. Je mehr man sich in diese vertieft, umso weiter greifen die Fragen, umso unsicherer scheint das bisher Bekannte und umso stärker wird der Drang, nicht nur das Spiel, sondern auch sich selbst zu verstehen.
In Yharnam ist es Nacht, die sogenannte „Night of the Hunt“, als der Charakter, an ein Krankenhausbett gefesselt, erwacht, von einem Fremden eine Bluttransfusion bekommt und das Bewusstsein verliert. Erneut, aber dieses Mal alleine, aufgewacht, findet man sich in mit unbezwingbaren Monstrositäten konfrontiert, welche einen unweigerlich in die Knie zwingen. Dieser Moment des ersten Scheiterns lässt von nun an die Grenzen zwischen Wachen und Schlafen verschwimmen. Der Spielende reist von einer Zwischenwelt, dem „Hunters Dream“, aus in die verschiedenen Teile der Stadt, mit nur einer Aufgabe betraut: Bestien zu jagen, denn erst wenn das vollbracht ist, kann die Nacht enden.

Literarische Albtraumwelt

Ästhetisch orientiert sich „Bloodborne“ stark an den kosmischen Kreaturen Lovecrafts und mischt diese mit klassischen Figuren der Horrorliteratur. Werwölfe, Schlangenmenschen, Vampire, Tentakelkreaturen und Hexen bevölkern die Straßen, die Wälder, die Tunnel und Kathedralen der Stadt, welche architektonisch an eine verzerrte Gothic Novel-Variante des viktorianischen Londons erinnert. Die Regeln und die Geschichte der Welt sind für Spielende als Außenweltler fremd. Spätestens wenn der Spielende die real wirkende Welt verlässt und den ersten Albtraum betritt, sind alle Unterscheidungen zwischen Angstvorstellung und tatsächlicher Gefahr verschwunden. Ein Pantheon kosmischer Kreaturen bestimmt das Schicksal dieser Welt und die Nacht kann nicht enden, bevor ihre Pläne erfüllt oder verhindert sind. Dabei nimmt der Weg eine Vielzahl von Wendungen, bis man schließlich vergisst, warum man tut, was man tut. Wie in einem Traum kommt man von Ort zu Ort, ohne zu wissen, wie man dorthin gekommen ist.

Wie es die „Dark Souls“ Tradition verlangt, steckt ein Großteil der Erkenntnis über die Welt und die Handlung in den einschüchternden Bosskämpfen. Beispielsweise stellt sich einem in der „Nightmare Frontier“ ein achtarmiger, jedoch menschenähnlicher Riese mit mandelförmigem Kopf namens Amygdala entgegen (Amygdala – lat. für Mandel und der Teil im Gehirn, der für Angststörungen verantwortlich sein soll). Die Furcht vor dem Kindstod (oder umgekehrt der Angst von seinem Kind getötet zu werden) manifestiert sich in den oft schwangeren Frauenfiguren, die entweder Totgeburten erleiden oder Monster zur Welt bringen. Auch die Götter dieser Welt verlieren stets ihre Nachkommen. Um schließlich das definitive Ende des Spiels zu erreichen, müssen wir sogar vier Teile einer göttlichen Nabelschnur finden.

Augen im Inneren

Zu guter Letzt bestimmt die Unfassbarkeit des Kosmos und nichtsdestotrotz das Verstehen aller Geheimnisse der Welt im Mittelpunkt von „Bloodborne“. Bezeichnend ist, dass die Forscher der Universität gemeinsam mit den Theokraten der sogenannten Healing Church für den Ausbruch des Wahnsinns und der Krankheit in Yharnam verantwortlich sind. Sowohl der Kampf gegen die Götter, als auch deren Beschwörung resultiert in „Bloodborne“ im Wahnsinn und sowohl das Akzeptieren als auch das Überwinden des eigenen Schicksals im Verlust des Selbst. Der Kampf gegen die eigenen Ängste, gegen das eigene Gehirn, kann nicht gewonnen werden, weil er nicht verstanden werden kann. Deshalb ist es auch ein Wunsch, der vielen Charakteren in der Spielwelt gemein ist: Der Wunsch nach Augen, die ins Innere gerichtet sind. Im „Mensis Nightmare“ skandiert Mikolash: „Kos or some say Kosm. As you did for vacuous Rom – grant us eyes! Grant us eyes!“ Und Rom, die als einzige Figur jene Augen ins Innere erhalten hat, ist im Gegenzug verstummt und kann niemanden in die Erkenntnisse einweihen.

„Bloodborne“ ist ein Spiel, das sich, wie die gesamte „Dark Souls“-Reihe, durch einen hohen Schwierigkeitsgrad und eine verschachtelte, verschlüsselte Handlung auszeichnet. Anders jedoch als „Dark Souls“, das sich mit existenzialistischen Themen von Menschlichkeit und Identität beschäftigt, sind es Psychologie, Religion und Wissen, die hier im Mittelpunkt stehen. Verbunden mit dem einzigartigen Design, dem fordernden, aber befriedigenden Gameplay und den ineinandergreifenden Spielmechaniken ist „Bloodborne“ ein Meisterwerk der Furcht und ein technisches sowie intellektuelles Paradebeispiel für anspruchsvolle Kunst.

Bloodborne. Studio: From Software. Publisher: Sony Computer Entertainment. 2015. Plattformen: Playstation 4, Spielerzahl: 1-4.

Ein Fund aus der Todesstadt.

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