Bloodborne: fürchterlicher Kosmos

by Bücherstädter Peter

Was den Men­schen die meiste Furcht ein­flößt, ist das Unbe­kannte. So oder so ähn­lich schrieb H.P. Love­craft und die­ses Motto bil­det das the­ma­ti­sche Grund­ge­rüst von „Blood­borne“, einem Sei­ten­ab­le­ger der From Soft­ware „Dark Souls“-Reihe. In „Blood­borne“ sind die Spie­len­den mit einer Gale­rie mensch­li­cher Urängste und der Aus­ar­tung einer davon fas­zi­nier­ten und beses­se­nen Theo­kra­tie kon­fron­tiert. – Von Code­jä­ger Peter

Die­ses furcht­erre­gende Unbe­kannte ist es auch, was die Hand­lung domi­niert. Je mehr man sich in diese ver­tieft, umso wei­ter grei­fen die Fra­gen, umso unsi­che­rer scheint das bis­her Bekannte und umso stär­ker wird der Drang, nicht nur das Spiel, son­dern auch sich selbst zu verstehen.
In Yhar­nam ist es Nacht, die soge­nannte „Night of the Hunt“, als der Cha­rak­ter, an ein Kran­ken­haus­bett gefes­selt, erwacht, von einem Frem­den eine Blut­trans­fu­sion bekommt und das Bewusst­sein ver­liert. Erneut, aber die­ses Mal alleine, auf­ge­wacht, fin­det man sich in mit unbe­zwing­ba­ren Mons­tro­si­tä­ten kon­fron­tiert, wel­che einen unwei­ger­lich in die Knie zwin­gen. Die­ser Moment des ers­ten Schei­terns lässt von nun an die Gren­zen zwi­schen Wachen und Schla­fen ver­schwim­men. Der Spie­lende reist von einer Zwi­schen­welt, dem „Hun­ters Dream“, aus in die ver­schie­de­nen Teile der Stadt, mit nur einer Auf­gabe betraut: Bes­tien zu jagen, denn erst wenn das voll­bracht ist, kann die Nacht enden.

Lite­ra­ri­sche Albtraumwelt

Ästhe­tisch ori­en­tiert sich „Blood­borne“ stark an den kos­mi­schen Krea­tu­ren Love­crafts und mischt diese mit klas­si­schen Figu­ren der Hor­ror­li­te­ra­tur. Wer­wölfe, Schlan­gen­men­schen, Vam­pire, Ten­ta­kel­krea­tu­ren und Hexen bevöl­kern die Stra­ßen, die Wäl­der, die Tun­nel und Kathe­dra­len der Stadt, wel­che archi­tek­to­nisch an eine ver­zerrte Gothic Novel-Vari­ante des vik­to­ria­ni­schen Lon­dons erin­nert. Die Regeln und die Geschichte der Welt sind für Spie­lende als Außen­welt­ler fremd. Spä­tes­tens wenn der Spie­lende die real wir­kende Welt ver­lässt und den ers­ten Alb­traum betritt, sind alle Unter­schei­dun­gen zwi­schen Angst­vor­stel­lung und tat­säch­li­cher Gefahr ver­schwun­den. Ein Pan­theon kos­mi­scher Krea­tu­ren bestimmt das Schick­sal die­ser Welt und die Nacht kann nicht enden, bevor ihre Pläne erfüllt oder ver­hin­dert sind. Dabei nimmt der Weg eine Viel­zahl von Wen­dun­gen, bis man schließ­lich ver­gisst, warum man tut, was man tut. Wie in einem Traum kommt man von Ort zu Ort, ohne zu wis­sen, wie man dort­hin gekom­men ist.

Wie es die „Dark Souls“ Tra­di­tion ver­langt, steckt ein Groß­teil der Erkennt­nis über die Welt und die Hand­lung in den ein­schüch­tern­den Boss­kämp­fen. Bei­spiels­weise stellt sich einem in der „Night­mare Fron­tier“ ein acht­ar­mi­ger, jedoch men­schen­ähn­li­cher Riese mit man­del­för­mi­gem Kopf namens Amyg­dala ent­ge­gen (Amyg­dala – lat. für Man­del und der Teil im Gehirn, der für Angst­stö­run­gen ver­ant­wort­lich sein soll). Die Furcht vor dem Kinds­tod (oder umge­kehrt der Angst von sei­nem Kind getö­tet zu wer­den) mani­fes­tiert sich in den oft schwan­ge­ren Frau­en­fi­gu­ren, die ent­we­der Tot­ge­bur­ten erlei­den oder Mons­ter zur Welt brin­gen. Auch die Göt­ter die­ser Welt ver­lie­ren stets ihre Nach­kom­men. Um schließ­lich das defi­ni­tive Ende des Spiels zu errei­chen, müs­sen wir sogar vier Teile einer gött­li­chen Nabel­schnur finden.

Augen im Inneren

Zu guter Letzt bestimmt die Unfass­bar­keit des Kos­mos und nichts­des­to­trotz das Ver­ste­hen aller Geheim­nisse der Welt im Mit­tel­punkt von „Blood­borne“. Bezeich­nend ist, dass die For­scher der Uni­ver­si­tät gemein­sam mit den Theo­kra­ten der soge­nann­ten Heal­ing Church für den Aus­bruch des Wahn­sinns und der Krank­heit in Yhar­nam ver­ant­wort­lich sind. Sowohl der Kampf gegen die Göt­ter, als auch deren Beschwö­rung resul­tiert in „Blood­borne“ im Wahn­sinn und sowohl das Akzep­tie­ren als auch das Über­win­den des eige­nen Schick­sals im Ver­lust des Selbst. Der Kampf gegen die eige­nen Ängste, gegen das eigene Gehirn, kann nicht gewon­nen wer­den, weil er nicht ver­stan­den wer­den kann. Des­halb ist es auch ein Wunsch, der vie­len Cha­rak­te­ren in der Spiel­welt gemein ist: Der Wunsch nach Augen, die ins Innere gerich­tet sind. Im „Men­sis Night­mare“ skan­diert Mikolash: „Kos or some say Kosm. As you did for vacuous Rom – grant us eyes! Grant us eyes!“ Und Rom, die als ein­zige Figur jene Augen ins Innere erhal­ten hat, ist im Gegen­zug ver­stummt und kann nie­man­den in die Erkennt­nisse einweihen.

„Blood­borne“ ist ein Spiel, das sich, wie die gesamte „Dark Souls“-Reihe, durch einen hohen Schwie­rig­keits­grad und eine ver­schach­telte, ver­schlüs­selte Hand­lung aus­zeich­net. Anders jedoch als „Dark Souls“, das sich mit exis­ten­zia­lis­ti­schen The­men von Mensch­lich­keit und Iden­ti­tät beschäf­tigt, sind es Psy­cho­lo­gie, Reli­gion und Wis­sen, die hier im Mit­tel­punkt ste­hen. Ver­bun­den mit dem ein­zig­ar­ti­gen Design, dem for­dern­den, aber befrie­di­gen­den Game­play und den inein­an­der­grei­fen­den Spiel­me­cha­ni­ken ist „Blood­borne“ ein Meis­ter­werk der Furcht und ein tech­ni­sches sowie intel­lek­tu­el­les Para­de­bei­spiel für anspruchs­volle Kunst.

Blood­borne. Stu­dio: From Soft­ware. Publisher: Sony Com­pu­ter Enter­tain­ment. 2015. Platt­for­men: Play­sta­tion 4, Spie­ler­zahl: 1–4.

Ein Fund aus der Todes­stadt.

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