Auslandskorrespondent zwischen den Welten

von | 26.08.2016 | Belletristik, Buchpranger

Auf den ersten Blick erwartet das wache Lese-Herz sich einen spannenden Polit-Thriller voller Schwarz-Weiß-Malerei. Das Cover von Dirk Brauns‘ „Wir müssen dann fort sein“ ist rot und zeigt eine Figur, die vermeintlich flüchtet. Wortklauberin Erika schaut sich das Buch genauer an.

Wir müssen dann fort seinGepaart mit dem Cover verspricht auch der Klappentext von Dirk Brauns Roman viel – vielleicht zu viel? Ein Auslandskorrespondent in Weißrussland, der den hiesigen Diktator interviewen wird. Der Titel, der irgendwo an eine überstürzte Flucht denken lässt. Und schließlich die Andeutung einer Vater-Sohn-Geschichte, in welche das Interview mit dem weißrussischen Diktator so gar nicht passen will.

Gestatten, Oliver, Auslandskorrespondent

Oliver Hackert steht in der Mitte seines Lebens, welches er sich als Auslandskorrespondent in Minsk aufgebaut hat, vor der bislang größten Herausforderung. Es ist keine berufliche Herausforderung, sondern vielmehr eine emotionale, wie sich bald herausstellt: Er will, angespornt durch das gute Zureden seiner Frau, endlich den jahrelangen Zwist mit dem Vater beenden. Die Einladung, welche dieser ihm zugeschickt hat, kommt dabei gerade recht: Der Vater, ehemaliger Staatspolizist und Schriftsteller, wird 75 und nimmt dies zum Anlass, sich mit Oliver zu versöhnen.
Zugleich bereitet Oliver mit dem „Berliner Tagblatt“ ein politisch harmloses Image für sich vor, um sein Interview nicht zu gefährden. Im Geheimen spricht er mit Exil-Weißrussen, welche in Deutschland ein sicheres Ziel gefunden haben. Genauso unter der Hand plant er mit seiner Frau Darya einen Umzug nach Deutschland, sollte er in Weißrussland politisch in Ungnade fallen.

Viel steht auf dem Spiel

Es wird schnell klar, dass in Dirk Brauns‘ „Wir müssen dann fort sein“ viel auf dem Spiel steht: Olivers Karriere, sein Leben, die Versöhnung mit dem Vater. Daneben eröffnet sich eine schiere Unendlichkeit an Themen, die nur gestreift werden können: das Leben der Vertriebenen im deutschen Exil; das sexuelle Erwachen Olivers, woran ihn seine ehemalige Nachbarin erinnert; der Geisteszustand von Daryas Bruder; der Tod der Mutter und die Unfähigkeit des Vaters, darüber hinwegzukommen.
Diese und noch weitere Themen werden wie nebenbei gestreift, Dirk Brauns Erzählung verweilt kurz darauf, um im Anschluss weiterzufließen, ohne nochmals darauf zurückzukommen. Oliver Hackert hat viel erlebt, und vieles überwunden, doch der Besuch im alten Heim lässt alte Wunden wieder aufbrechen.

Fazit

Was soll man allerdings von diesem Roman halten, der vieles ist, und zugleich alles andere als erwartet? Auf der einen Seite ist die intensive Recherche, welche durch die lebensnahen Darstellungen des Lebens in Weißrussland sowie des Exillebens zu erkennen ist und durch das Nachwort nochmals hervorgehoben wird. Dirk Brauns schreibt nicht einfach so aus dem Bauch heraus, sondern mit einem klaren Ziel vor Augen und einer Art ‚Mission‘. Andererseits nimmt sich der Roman mit den vielen Themen, die gestreift werden, zu viel vor. So prallen die politisch aufgeladene Berufswelt und die Welt der persönlichen Erfahrungen Olivers aufeinander, ohne dabei einen Kompromiss zwischen diesen beiden Erfahrungsräumen zu finden. Die Unvereinbarkeit dieser beiden ‚Welten‘ wird etwa durch eine strikte Trennung des Figurensortiments deutlich. So treten Vater Hackert und Darya, Olivers Frau, nicht miteinander in Verbindung.

Wir müssen dann fort sein. Dirk Brauns. Galiani. 2016.

Bücherstadt Magazin

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