Dass das Auenland Tolkiens Hommage an England ist, hatte Zeilenschwimmerin Ronja schon mal gehört. Aber wie sieht es mit dem Rest von Mittelerde aus? Das möchte sie in „Die Erfindung von Mittelerde“ erfahren.
Die Sprachen, Schriften, Sagen und historischen Ereignisse, die Tolkien erdacht und zu einem großen Ganzen zusammengefügt hat, machen Mittelerde zu einer beeindruckend komplexen und vor allem überzeugenden Fantasywelt. Das hat mich an Tolkiens Werken schon immer begeistert, doch ein waschechter Fan bin ich nicht. Und das habe ich beim Lesen von „Die Erfindung von Mittelerde“ deutlich gespürt. Dieses Sachbuch (mit Tendenzen zum Fachbuch) richtet sich eindeutig an Menschen mit ausgeprägteren Vorkenntnissen als ich sie habe. Es gab zahlreiche Erwähnungen und Erklärungen, die mir einfach nichts sagten, weil mir die Grundlagen fehlten. Je mehr Werke von Tolkien man gelesen hat, desto leichter wird man dem Autor, John Garth, vermutlich folgen können.
Anfangs hatte ich auch eine falsche Erwartungshaltung an das Buch. Ich dachte erst, es wäre eines dieser Bücher, in denen Werke in Verbindung mit Notizen, Briefen, vielleicht Tagebucheinträgen von den Autor*innen beleuchtet werden. „Die Erfindung von Mittelerde“ ist stattdessen vielmehr eine mit zahlreichen Belegen gespickte Abhandlung über bestätigte und wahrscheinliche Orte und Umstände, die Tolkien zu bestimmten Elementen von Mittelerde inspirierten. Stellenweise fühlte ich mich dadurch etwas an Textinterpretationen in der Schule erinnert, wo jedes Wort – in diesem Fall jeder Ort – auf die Goldwaage gelegt und damit etwas zu sehr überinterpretiert wird.
Der Struktur konnte ich leider – auch abseits von fehlenden Vorkenntnissen – nicht immer einfach so folgen. Einerseits ist die Aufteilung nach geographischen Eigenheiten (etwa das Meer oder Berge) durchaus schlüssig. Andererseits ergeben sich dadurch wiederholte Sprünge zwischen Orten, Werken und vor allem den unterschiedlichen Werkfassungen, da Tolkien frühere Erzählungen erst später in Mittelerde integrierte oder zum Beispiel den „Hobbit“ nachträglich an „Der Herr der Ringe“ anpasste. Vor allem in den späteren Kapiteln, etwa zu Kriegsschauplätzen oder Handwerk, funktionierte diese Struktur für mich jedoch besser – möglicherweise auch deshalb, weil hier der biografische Anteil zu Tolkien mit am höchsten war.
Grundsätzlich konnte ich jedoch einiges aus „Die Erfindung von Mittelerde“ mitnehmen – nicht nur zu Orten und Geschehnissen in Mittelerde und ihren (wahrscheinlichen) Vorlagen in unserer Welt, sondern auch zu Tolkien selbst. Gerade die biografischen Anteile haben mich dazu motiviert, mich mehr mit Tolkien als Person zu beschäftigen.
„Die Erfindung von Mittelerde“ empfehle ich allen, die Mittelerde bereits gut erkundet haben und nun mehr zu den Verbindungen zu Tolkiens Leben erfahren möchten. Halblaien wie ich sollten zuvor besser noch ein, zwei weitere Expeditionen nach Mittelerde vornehmen.
Die Erfindung von Mittelerde. Was Tolkien zu Mordor, Bruchtal und Hobbingen inspirierte. John Garth. Übersetzung: Andreas Schiffmann. wbg Theiss. 2021.
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