Adventskalender 2017: Türchen 23

von | 23.12.2017 | #litkalender, Kreativlabor

Ein verirrtes Geschenk

Wild stob der Schnee auseinander, als der Bär in der Schneeverwehung landete. Es war ein langer Sturz gewesen, schließlich sollte niemand den Dicken bei der Arbeit erwischen. Die Elfen hatten den Sack wohl wieder etwas zu locker zugeschnürt, sodass sich der Knoten ohne Probleme gelöst hatte.
Prustend schaufelte sich der Bär durch den Haufen aus frisch gefallenem Schnee. Er hatte wohl Glück gehabt, dass er durch seine weiche Gesamterscheinung keine Schäden von dem Sturz davon getragen hatte. Eines dieser hässlichen Plastikteile, die mit ihm in diesem dunklen Sack waren, hätte den Sturz nicht so unbeschadet überstanden wie er.
Kaum hatte der Bär sich aus dem Schneehaufen gewühlt, da wurde er vom lauten Geräusch eines Motors aufgeschreckt. Dem Drang einfach zurück in die Schneewehe zu springen, widerstand er, stattdessen schaffte er es gerade noch, sich hinter dieser zu verstecken.
Was würde ein Mensch wohl sagen, wenn er einen Teddybären einfach so auf der Straße herumlaufen sähe? Vielleicht würde er ihn einfach nur für ein streunendes Tier halten, aber der Bär wollte kein Risiko eingehen. Schließlich hatte er ein Ziel und eine Aufgabe zu erfüllen.
Kaum war das Auto vorübergezogen, sprang der Bär aus seinem Versteck, schaute einmal nach rechts und nach links, dann überquerte er die Straße. Nachdem er sich in einem Strauch versteckt hatte, suchte er seinen kompletten Körper ab. Die Elfen hatten ihm gesagt, dass er sich, sollte er verloren gehen, einfach nur an dem Zettel orientieren müsste. Schließlich wurde er am Ende einer Schnur fündig, welche an seiner linken Schulter befestigt worden war. Mit verschnörkelter Handschrift war darauf eine Adresse geschrieben.
Nachdenklich überflog der Bär einige Male die Buchstaben und überlegte, wie er nun herausfinden sollte, wo er war und wie er zu seinem Bestimmungsort kommen sollte. Irgendwo musste es hier doch einen Stadtplan oder so etwas geben.
Nachdem ein weiteres Auto an seinem Versteck vorbeigerauscht war, huschte der Bär hinaus und schaute sich erst einmal um. Eine halbe Stunde Teddybären-Fußmarsch entfernt konnte er in der Ferne die Lichter und Häuser erkennen. Gut, dachte er, dass die Menschen ihre Häuser um die Weihnachtszeit so hell schmücken.
Der Mond stand schon hoch am Himmel, da erreichte der Bär die ersten geschmückten Häuser. Überall hingen Lichterketten und Lampen in Form von Schneemännern. Neben einer Tür stand eine Figur, die dem Dicken ziemlich ähnlich sah, abgesehen von den Klamotten.
Ein Jahr lang hatten die Elfen ihm alles über die Menschenwelt erzählt. Er musste sich schließlich dort zurechtfinden und seine Aufgabe erfüllen können. Aber warum die Menschen ihre Häuser so grell schmückten, hatte er nie verstanden. All die Dinge, die er gelernt hatte, sollten den Zweck haben, ein Menschenkind vor Monstern zu beschützen, hatten ihm die Elfen gesagt, nachdem er einige Male nachgefragt hatte. Sie meinten, da müsse er solche banalen Sachen nicht verstehen.
Ein Straßenschild sagte ihm, dass er sich in einer Straße namens Rosenpfad befand. Noch einmal schaute er auf das Schild und schüttelte den Kopf, sodass seine Ohren hin und her schlackerten.
Einige Meter weiter, er musste sich zwischenzeitig hinter einer Straßenlaterne verstecken, da ein weiteres Auto vorbeifuhr, erreichte der Bär eine Bushaltestelle. Hier musste es doch eine Karte geben.
Zu seinem Glück behielt der Bär Recht, denn an der Haltestelle hing wirklich eine Karte der Umgebung und nicht nur das, es war auch ziemlich genau der Ort zu sehen, an welchen er musste. Man könnte es beinahe ein Weihnachtswunder nennen, denn auch seine Zielstraße, welche in verschnörkelter Schrift auf dem Kärtchen stand, lang nur noch wenige Meter entfernt.
Ohne noch länger nachzudenken, hüpfte der Bär von den Sitzen der Haltestelle hinunter, auf die er mit viel Mühe hinaufgeklettert war. Runter war immer leichter als rauf. Nun rannte er, so schnell ihn seine kurzen Beine tragen konnten.
Das Haus im Finkensteig Nummer drei war schnell erreicht, denn zwanzig Minuten brauchte er für eine Strecke, die ein erwachsener Mensch in fünf zurücklegen würde. Dies war für einen Bären seiner Größe schon bemerkenswert.
Die Frage, wie er hineinkommen sollte, erübrigte sich schnell, denn die weiße Hauskatze erwartete ihn schon mit lautem Schnurren auf der Veranda. Mit einer leichten Kopfbewegung zur Katzenklappe zeigte die Katze ihm den leichtesten Weg ins Haus. Er wusste, dass er Tieren vertrauen konnte, sie hatten schließlich dieselbe Aufgabe wie er. So nickte er der weißen Dame dankend zu, bevor er sich durch die Plastiklappe hindurchzwängte.
Bis auf ein paar Stimmen, welche aus dem zweiten Stock zu kommen schienen, war das Haus ruhig und der Bär bewegte sich ohne Probleme unbemerkt durch die Wohnung. Auf Zehenspitzen und mit langen Schritten huschte er erst durch den Flur und dann in das Zimmer, in welchem der große, grüne, buntgeschmückte Weihnachtsbaum stand. Erleichtert betrachtete er den Baum und suchte sich daraufhin ein gemütliches Plätzchen. Zwischen einem Feuerwehrauto und einem selbstgestrickten Pullover fand er einen angenehmen Platz und ließ sich brummend nieder.
Etwas erschöpft von dem aufregenden Tag schloss der Bär die Augen und fiel schlaff in sich zusammen. Er würde wieder aufwachen, wenn die nächste Dämmerung anbrach. Wenn die Monster kämen.

Geschichtenerzähler Adrian
Illustration: Geschichtenzeichnerin Celina

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