Adventskalender 2017: Türchen 20

von | 20.12.2017 | #litkalender, Kreativlabor

Interstellarer Zimt

„Hübsche Tanne“, kommentierte Stanley trocken, auf eine große, geschmückte Fichte deutend, die mitten auf dem Platz stand. Natala, die neben ihm hergegangen war, sah vom Display ihres Coms auf und musterte den Baum skeptisch, ehe sie entgegnete: „Mich würde ja eher interessieren, wie sie das Ding in die Raumstation bekommen haben, das ist mindestens zwei Stockwerke hoch.“
„Auseinanderschneiden und wieder zusammenkleistern?“, schlug er vor, ohne verhehlen zu können, dass ihm der Baum gefiel, über dem durch eine gläserne Kuppel die Sterne zu erkennen waren. „Trotzdem ziemlich hübsch, vor allem für einen so schäbigen Ort.“
„Ich verstehe einfach nicht ganz, wieso es ein Fest gibt, bloß weil auf der nördlichen Hemisphäre der Erde Wintersonnenwende ist. Eines Tages werde ich das nachschlagen.“
„Das sagst du jedes Jahr und wir vergessen es immer wieder“, lachte Stanley, bevor er sich zwang, ernst zu werden. „Wir haben ein Meeting.“
„M-hm.“ Natala zog ihre abgetragene Lederjacke an, um beide Hände frei zu haben, wenn etwas schieflaufen sollte. Stanley reiste bereits lange genug mit der erfahrenen Schmugglerin, um ihre Taktiken zu kennen – zwar verliefen die meisten Treffen mit lokalen Gangstern gut, trotzdem konnte es nie schaden, gewappnet zu sein. „Bereit?“, erkundigte sich Natala.
„Klar. Marten wird uns zwar wie jedes Mal über den Tisch zu ziehen versuchen, aber bisher hat er noch nie auf uns geschossen, wird schon klappen.“
Das Duo schlenderte auf eine Bar am anderen Ende des Platzes zu, vor der sich mehrere Gruppen angeheiterter Reisender, Gauner und Glücksritter lautstark unterhielten. Stanley kannte solche Raumhafenspelunken zur Genüge, hatte sie bereits auf unzähligen Planeten gesehen und trotz ihrem schäbigen Ambiente zu schätzen gelernt. Bereits um hereinzukommen mussten sie sich durch die Menschenmenge bugsieren, was ihnen erst nach einiger Mühsal gelang.
Als die beiden Freunde den rauchgeschwängerten Raum betraten, verbiss sich Stanley einen bösen Kommentar über die grauenhafte Musik, die aus alten Lautsprechern plärrte und sah sich um. Erst nach einigem Suchen konnte er Marten, ihren Kontakt, an einem der Tische am anderen Ende des Lokals ausmachen und stupste Natala an. Gemeinsam schritten sie durchs Getümmel, wobei Stanley versuchte, dabei nicht allzu vielen Mitbürgern auf die Füße zu stehen.
„Natala, Stanley, lange nicht gesehen“, begrüßte sie Marten etwas gar euphorisch, als sie an seinem Tisch angelangt waren. Während sie den Gruß erwiderte, musterte Stanley skeptisch den großen Krug auf dem Tisch, der bereits halbleer war – vermutlich der Grund für Martens gute Laune. Kaum hatten sie sich gesetzt, wollte Stanley wissen: „Was ist denn das für ein Gesöff?“
„Eierpunsch“, gluckste Marten angeheitert und goss seinen Gästen zwei Gläser ein. „Scheint gerade der Renner zu sein.“
Skeptisch schnüffelte Stanley an seinem Glas, ehe er vorsichtig einen Schluck davon nahm. Das Zeug war gar nicht so schlecht, befand er überrascht und leerte seinen halben Drink, ehe er sich eine Zigarette anzündete. Natala war derweil ernst geblieben und fragte: „Wollen wir zum Geschäftlichen kommen?“
„Klar.“ Marten streckte sich. „Also, ich habe eine Fracht für euch, von hier nach Tenowia. Gewürze, Zimt und Anis, um genau zu sein.“
„Und ich dachte, du transportierst nur Drogen“, meinte Natala lachend. „Gewürze sind genauso in Ordnung.“
„Bestens, dann regeln wir doch gleich die Details.“
Amüsiert stimmte Natala zu. „Wenn ich auch die Bezahlung nicht ein Detail nennen würde.“
Ihr Treffen hatte länger gedauert und so konnte Stanley den Alkohol des Eierpunschs gut spüren, als die beiden Kameraden auf dem Rückweg zu ihrem Frachter waren. „Komisches Gebräu, das die hier trinken“, brummte er, einen Bogen um einen Essensstand machend. „Aber immerhin wird das ganze Schiff nach Zimt riechen, das ist ein Plus im Vergleich dazu, wenn man Drogen schmuggelt.“
„Ich weiß ja nicht“, entgegnete Natala skeptisch, „irgendwann geht einem der Geruch nach Zimt sicher ziemlich auf den Keks.“
„Das ist es!“, rief Stanley freudig aus. „Wir könnten etwas Zimt aus der Fracht klauen und Kekse backen.“
„Darum ist ja wohl die Nachfrage nach Gewürzen derzeit so hoch, muss mit diesem Mittwinter-Fest zu tun haben. Kekse gehören ja da auch dazu.“
„Eigentlich gar nicht so eine schlechte Feier, Essen, Alkohol, Geschenke und geklaute Tannen. Einzig diese Typen, die sich als fette Kerle im roten Anzug verkleiden, finde ich etwas gruselig, ich glaube, die sind von einer Sekte.“
Mehrere Tage waren vergangen und die Promise, ihr alter Frachter, reiste durch den Hyperraum. Wie immer, auf langen sowie ereignislosen Trips, war die Routine bald eingekehrt und Stanley hatte sein Vorhaben, Kekse zu backen, rasch wieder vergessen. Müde streifte er sich sein T-Shirt über und streckte sich auf dem Bett seiner Kajüte aus. Ein Blick auf das holographische Display seines Nachttisches verriet ihm, dass es bereits lange nach Mitternacht war – höchste Zeit, etwas Schlaf zu kriegen, immerhin hatte er vor, am kommenden Tag Mechanikerarbeiten zu erledigen. Nachdem er mit einem Sprachbefehl das Licht gelöscht hatte, streckte er sich wohlig auf dem Bett aus und schloss die Augen.
Stanley war nahezu eingeschlafen, als ihn der Zimtgeruch, der sich längst im ganzen Schiff ausgebreitet hatte, in der Nase kitzelte. „Verfluchtes Gewürz“, brummte er und freute sich darauf, wenn sie diese Ladung endlich löschen konnten. Entgegen seiner Erwartungen ließ jedoch der Niesreiz nicht nach, sondern wurde stärker. Fluchend schaltete Stanley das Licht ein und starrte ungläubig auf den bräunlichen Staub, der alles in seinem Zimmer bedeckte. „Was um alles in der Galaxis …?“, brummte er, als er erkannte, wie dasselbe Pulver aus einem Luftschacht über ihm rieselte. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung, daran hegte er keinen Zweifel. Eilig sprang er aus dem Bett, zog sich seinen Morgenmantel über und hastete auf den leeren Gang. Auch hier roch es penetrant nach Zimt, viel stärker als zuvor. Gegen das schwache Licht der Nachtbeleuchtung konnte Stanley denselben Staub sehen, der nahe der Lüftung eine Wolke formte. Was war hier bloß los, fragte er sich und entscheid sich, Natala zu wecken. Eben, als er an ihre Kajütentür klopfen wollte, trat sie am anderen Ende in den Gang und kam lachend auf ihn zu. Ihr schwarzes, gekraustes Haar war von einer braunen Schicht bedeckt und auf den Schultern hatte sie ebenfalls von dem komischen Pulver.
„Verdammt, was ist hier los?“, erkundigte Stanley sich, noch ehe sie ganz bei ihm angelangt war. Sie musste tief durchatmen, ehe sie sprechen konnte. „Eine Ratte hat einen der Säcke in der Ladebucht angeknabbert, der Zimt wurde von der Lüftung angesogen und jetzt schneit es.“
Mit einem indignierten Seufzen sah Stanley zur Decke auf, was er sogleich bereute, da ihm Zimtstaub ins Auge geriet. „Heißt das, wir haben das Zeug jetzt im ganzen Schiff verteilt? Das wird ewig dauern, das wieder wegzuputzen – ganz egal, um was es bei diesem komischen Feiertag geht, ich hasse ihn!“

Sarah L. R. Schneiter

Über die Autorin:

Sarah L. R. Schneiter ist eine bekennende Wortliebhaberin mit kaum zu stillender Neugier. Sie interessiert sich für Wissenschaft und Technik und ist der Überzeugung, dass diese Welt zu spannend und unterhaltsam ist, um sich zu langweilen. Nebst ihrem ernsthaften Lese- und Videospiel-Problem und ihrem manchmal etwas schrägen Humor ist Sarah vor allen für ihren Kaffeekonsum bekannt.

Sarah schreibt bereits seit ihrer Jugend, ihre Texte sind vorwiegend Kurzgeschichten sowie längere Geschichten im Genre Science-Fiction und Essays. Einige kürzere Texte von ihr sind in verschiedenen Publikationen erschienen. Zudem betreibt sie zusammen mit ihrer besten Freundin die Seite „Clue Writing“, auf der wöchentlich Kurzgeschichten sowie Hörgeschichten publiziert werden. Ab dem kommenden Jahr wird von Sarah eine Buchreihe mit den Charakteren dieses Adventskalender-Beitrags erscheinen.

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

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