Viele Menschen fürchten sich vor dem Tod. Vielleicht ist es auch eher die Angst, danach in Vergessenheit zu geraten. Dies wird Künstlern gerne als Motivation für ihr Schaffen nachgesagt. Sicher ist, dass ihre Werke weiterleben und man sich ihrer auf vielfache Weise erinnern kann. Zeilenschwimmerin Ronja macht sich auf die Suche nach literarischen Spuren auf Friedhöfen in den USA, Deutschland und Österreich.
Blutige Hände, ein verhungernder Junge und ein brennendes Mädchen, das sind die Bilder aus „Der Struwwelpeter“ (1844), an die ich mich mein Leben lang erinnern werde. Auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main, eröffnet 1828, liegt nicht nur das Ehrengrab seines Verfassers, Heinrich Hoffmann, sondern auch das Grab von „Paulinchen“ (eigentlich Pauline Schmidt), dem Mädchen, das sich im Struwwelpeter mit dem Feuerzeug anzündet. Sie befinden sich in der Gesellschaft des Philosophen Arthur Schopenhauer und der heute etwas in Vergessenheit geratenen Schriftstellerin Ricarda Huch. Diese verfasste unter anderem Gedichte und historische Romane („Der große Krieg in Deutschland“, 1912-14). Neben ihnen liegen hier auch der bekannte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der Schriftsteller Robert Gernhardt („Wörtersee“, 1981, „Hier spricht der Dichter“, 1985) und der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld begraben.
In der deutschen Hauptstadt Berlin lassen sich viele Autoren der Schulunterrichtsklassiker finden, etwa Bertold Brecht („Die Dreigroschenoper“, 1928), Heinrich von Kleist („Michael Kohlhaas“, 1808), Christa Wolf („Kassandra“, 1983) und Theodor Fontane („Effi Briest“, 1894/95). Auch der Naturforscher Alexander von Humboldt, durch „Die Vermessung der Welt“ (2005) mittlerweile selbst eine literarische Figur, liegt in seiner Geburtsstadt Berlin begraben. Dort ruht auch Heinrich Mann („Der Untertan“, 1918). Seine Urne wurde 1961, elf Jahre nach seinem Tod, aus den USA nach Deutschland überführt. Unter all diese Namen gesellt sich auch Joachim Ringelnatz, der vor allem für seine lustigen Gedichte, etwa „Die Ameisen“, bekannt ist. Diese stellen jedoch nur einen Bruchteil seines eigentlichen Werkes dar.
Von einer Hauptstadt in die andere
Der Wiener Zentralfriedhof wurde 1874 eröffnet und ist heute einer der größten in ganz Europa. Neben den österreichischen Präsidenten und Ludwig van Beethoven wurde auch Arthur Schnitzler hier begraben. Schnitzler, ursprünglich Arzt von Beruf, schrieb in seinem Leben zahlreiche Theaterstücke, Erzählungen und Novellen, darunter: „Lieutenant Gustl“ (1900), „Anatol“ (1893) und „Fräulein Else“ (1924). Auch der 2000 verstorbene Lyriker und Autor Ernst Jandl („sprechblasen“,1968; „der gelbe Hund“, 1980 u.v.m.) sowie der 1991 verstorbene Theaterkritiker und Schriftsteller Hans Weigel („Barrabas oder Der fünfzigste Geburtstag“, 1946; „Tirol für Anfänger“, 1981 u.a.) haben hier ein Ehrengrab erhalten. Hans Weigel erregte seinerzeit mit einem Prozess gegen die Schauspielerin Käthe Dorsch Aufsehen, nachdem diese ihn wegen seiner kurz zuvor erschienenen Kritik ohrfeigte.
Auf der anderen Seite des Atlantiks
Im US-Bundesstaat New York wartet nun endlich eine Friedhofs-Gruselgeschichte auf uns. Der Ort Sleepy Hollow und sein kopfloser Reiter sind vielen bekannt aus dem Tim Burton-Film „Sleepy Hollow“ (1999) mit Johnny Depp, Christopher Walken und Christina Ricci. Weniger bekannt (zumindest hierzulande) ist die literarische Vorlage „The Legend of Sleepy Hollow“ (dt. „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“) von Washington Irving. Der Autor liegt auf dem Friedhof von Sleepy Hollow begraben. Mit Kopf, hoffentlich.
An der Westküste der USA geht es dagegen wesentlich glamouröser zu. Der Hollywood Forever Cemetery, eröffnet 1899, liegt direkt neben den Paramount Studios. Hier ruhen vor allem große Namen früherer Jahrzehnte, denn in den 80ern und 90ern stand der Friedhof kurz vor der Pleite. Bei einer – ganz dem amerikanischen Geist entsprechend – virtuellen Tour über den Friedhof, kann man Namen wie Janye Mansfield, Victor Flemming (Regisseur von „Vom Winde verweht“, 1939, und „Der Zauberer von Oz“, 1939) und Franz Waxman, der für u.a. Alfred Hitchcock komponierte („Rebecca“, 1940, und „Das Fenster zum Hof“, 1954), entdecken. Andernorts in und um Los Angeles ruhen auch Walt Disney und Bob Kane (der Erfinder von „Batman“).
Friedhöfe können gruselig, traurig oder auch tröstend sein. Vor allem aber sind sie ein Ort der Ruhe und der Erinnerung. Und es sind Orte voller Geschichten. Jeder Mensch, der dort liegt, der ihn besucht, der dort weint, hat eine eigene Geschichte. Manche sind bekannt, manche unbekannt. Friedhöfe als Touristenmagnet zu begreifen, ist eigenartig und makaber, aber wohl unvermeidlich, sind es doch Geschichten, die uns unweigerlich anziehen und faszinieren.
Wenn ihr noch mehr über diese und andere Friedhöfe lesen möchtet, helfen euch diese Wegweiser weiter:
- Hauptfriedhof Frankfurt/Main
- Ehrengräber der Stadt Berlin
- Friedhöfe Wien
- Sleepy Hollow Cemetery (auf engl.)
- Hollywood Forever Cemetery (auf engl.)
- Zehn berühmte Friedhöfe
Ihr habt noch nicht genug von Friedhöfen? Dann lest doch mal:
- Friedhofsbesuche mit Schriftstellern wie z.B. Cornelia Funke, Donna Leon und Jussi Adler-Olsen
- Neil Gaiman: The Graveyard Book (dt. Das Graveyard Buch). Übersetzt von Reinhard Tiffert. Arena Verlag. 2011. Rezension zur englischen Graphic Novel.
- Cornelia Funke: Geisterritter. Illustriert von Friedrich Hechelmann. Dressler Verlag. 2011.
- Bess Lovejoy: Rest in Pieces – Die unglaublichen Schicksale berühmter Leichen. (Rezension im Todesstadt Kurier, 2016)
- Thorsten Benkel, Matthias Meitzler: Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe – Ungewöhnliche Grabsteine. Kiepenheuer & Witsch. 2014.
Ein Fund aus der Todesstadt.
Illustration: Buchstaplerin Maike
0 Kommentare
Trackbacks/Pingbacks