Veronika beschließt zu sterben

von | 07.04.2014 | Belletristik, Buchpranger

„Ein jeder von uns lebt in seiner eigenen Welt. Doch wenn du in den gestirnten Himmel blickst, dann siehst du, daß all diese verschiedenen Welten sich zu Konstellationen, Sonnensystemen, Galaxien verbinden.“ (S. 174)

Cover © Diogenes

„Veronika beschließt zu sterben“ (Originaltitel auf Portugiesisch: Veronika decide morrer) ist ein Roman des brasilianischen Schriftstellers Paulo Coelho, erschienen 2000 im Diogenes Verlag. Die Verfilmung kam 2010 in die deutschen Kinos, unter der Regie von Emily Young und mit Sarah Michelle Gellar in der Hauptrolle. Der Roman diente außerdem als Vorlage für ein Theaterstück und als Inspiration für das Lied „Saint Veronika“ der kanadischen Rockband Billy Talent. Neben all dieser Begeisterung für die Geschichte um Veronika wurde der Roman für den International IMPAC Dublin Literary Award nominiert.

Protagonistin des Buches ist – wie der Titel schon vermuten lässt – Veronika, eine 24-jährige junge Frau, die Selbstmord begehen will. Dabei merkt man bereits zu Beginn der Geschichte, dass ihr eigentlich nichts fehlt. Unterstützt wird dieser Eindruck noch vom locker heiteren Schreibstil des Autors, sodass man sich fragt, ob der Autor seine Protagonistin überhaupt selbst ernst nimmt.

„Am 11. November 1997 entschied Veronika, jetzt sei es – endlich – an der Zeit, sich das Leben zu nehmen.“ (S. 7) Für dieses Vorhaben mietet Veronika ein Zimmer in einem Kloster. Auf dem Nachttisch hat sie vier Schachteln mit Schlaftabletten bereit gestellt. Eine nach der anderen nimmt sie nun zu sich. Während sie daliegt und auf den Tod wartet, blättert sie in dem französischen Männermagazin „Homme“. Da stößt sie auf einen Artikel von Paulo Coelho und den Kommentar: „Wo liegt Slowenien?“ Veronika beginnt sich zu ärgern, da sie das Gefühl hat, keiner wüsste, wo ihr Heimatland Slowenien liegt. Sie beschließt, vor ihrem Tod noch einen Leserbrief zu schreiben. Während sie daliegt, nachdenkt und schreibt, beginnt sie an ihrem Selbstmordversuch zu zweifeln. Doch dann beginnen die Schlaftabletten auch schon zu wirken…

Als Veronika wieder aufwacht, befindet sie sich im Irrenhaus „Villete“, wo sie erfährt, dass ihr Selbstmordversuch zwar gescheitert ist, ihr Herz jedoch so sehr davon belastet, dass sie nur noch wenige Tage zu leben hat. Auch wenn Veronika es erst nicht zugibt, im Grunde hat sie gehofft, dass sie von den Schlaftabletten nicht stirbt. Jetzt jedoch, wo ihr Todesdatum feststeht, bekommt sie es mit der Angst zu tun: „In der Nacht bekam sie jedoch Angst. Ein schneller Tablettentod war eines, etwas anderes war es, fünf Tage, eine Woche lang auf den Tod zu warten, nachdem man schon alles gelebt hatte, was möglich war.“ (S. 37)

Aber ist es wirklich so? Hat Veronika schon alles gelebt und erlebt? Sie beginnt sich im Irrenhaus umzusehen, lernt einige Patienten kennen und will doch keine Beziehungen aufbauen, da sie weiß, dass sie sowieso bald sterben wird. Allerdings klingt das alles einfacher, als es ist. Denn Veronika beginnt, alles zu hinterfragen und zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich zu leben. Doch was macht man in den letzten Tagen seines Lebens? Plötzlich fallen Veronika Dinge ein, die sie unbedingt noch erleben will…

Paulo Coelho schafft es, den Leser bis zur letzten Seite zu fesseln. Allein die Frage, wie die Geschichte um Veronika endet, lässt einen immer weiter lesen. Man begibt sich mit ihr auf die Suche nach sich selbst, nach dem wahren Kern des Lebens und stößt dabei auf Gedankengänge, die alles zuvor Gedachte umzuwerfen scheinen. Da ist die besorgte Mutter, die glaubt, Schuld am Selbstmordversuch ihrer Tochter zu sein, und Dr. Igor versichert ihr, dass sie gar nichts dafür kann. Stattdessen fragt er sie: „Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, wie es wäre, wenn wir nicht gezwungen wären, jeden Tag in unserem Leben dasselbe zu tun? Wenn wir beispielsweise beschließen würden, nur dann zu essen, wenn wir Hunger haben, wie dann die Hausfrauen und die Restaurants damit zurechtkämen?“ (S. 87)

Coelho schreibt über Realität und Wunschdenken, über Normalsein und Verrücktheit. Sind die Verrückten die Verrückten oder die Menschen außerhalb des Irrenhauses? Was ist überhaupt Realität? Können Wünsche wahr werden? Veronika wusste bereits als Kind, dass sie Pianistin werden wollte. Sie hatte Talent, wollte ihr Hobby zum Beruf machen, doch die Mutter erklärte ihr: „Niemand lebt nur vom Klavierspielen, mein Herz. (…) Studiere Jura. Rechtsanwältin, das ist ein Beruf mit Zukunft.“ (S. 102) Tatsächlich gab Veronika ihren Traum auf. Eine beschriebene Situation, die doch stark an die Realität erinnert: zu wenig werden Kultur und Bildung gefördert. Man sieht es allein schon an vielen Unis und Hochschulen: es mangelt an Geld für Kunstmaterialien und Musikinstrumente. Das Geld wird lieber in Technologie und Wirtschaft investiert. Etwas, das „mehr bringt“, mit dem man mehr Geld einnehmen kann. Kein Wunder, wenn Eltern ihren Kindern sagen: „Studiere Jura. Rechtsanwältin, das ist ein Beruf mit Zukunft.“ Und dabei rückt Kultur immer mehr in den Hintergrund.

Die Verrückten im Irrenhaus können in der „normalen“ Realität nicht leben, wollen sich nicht anpassen, sondern einfach sie selbst sein. Veronika begreift im Laufe der Geschichte, dass die Verrückten eigentlich gar keine Verrückten sind. Sie leben einfach abgetrennt von anderen, nach ihren eigenen Regeln. „Im Grunde liegt die Schuld an allem, was in unserem Leben geschieht, bei uns. Viele Menschen haben die gleichen Schwierigkeiten durchgemacht wie wir, doch sie haben anders reagiert. Wir haben den einfachsten Weg gewählt: die abgetrennte Realität.“ (S. 163)

„Veronika beschließt zu sterben“ ist ein wundervoller Roman über das Leben und die Suche nach sich selbst. Man schließt das Buch und beginnt die Welt mit anderen Augen zu sehen. Man wünscht sich: „Ach, könnten doch alle Menschen ihre innere Verrücktheit kennenlernen und mit ihr leben!“ (S. 145)

Alexa

Titel: Veronika beschließt zu sterben
Autor: Paulo Coelho
Verlag: Diogenes
Erscheinungsjahr: 2000

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Das Bücherstadt Magazin wird herausgegeben vom gemeinnützigen Verein Bücherstadt. Unter dem Motto "Literatur für alle!" setzt sich die Redaktion mit der Vielfalt der Literatur im Sinne des erweiterten Literaturbegriffs in verschiedenen medialen Aufbereitungen auseinander.

2 Kommentare

  1. Avatar

    Klingt super! wird meine nächste Anschaffung 🙂

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  2. Avatar

    Mir ging es ebenso, als ich das Buch gelesen habe. Ich hab von anderen Lesern gehört, dass es zu kitschig ist, aber ich konnte davon nichts feststellen. Ich finde die lebensbejahende Aussage des Roman einfach wundervoll. Danke, dass ihr mir das Buch mit eurer Rezension in Erinnerung gerufen habt.
    Liebe Grüße,
    Katarina 🙂

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  1. (Die Sonntagsleserin) KW #15 – April 2014 | Bücherphilosophin. - […] Coelhos “Veronika beschließt zu sterben” ist laut dem Bücherstadt Kurier “ein wundervoller Roman über das Leben und die Suche…

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