Nora Gomringer

von | 25.02.2016 | Auditorium, Im Interview, Stadtgespräch

„Gerne wäre ich ein schmaler Band im Regal der wunderbaren Autorin Nina Jäckle und gerne wäre ich so schön und leicht, dass sie Freude daran hätte mich oft aus dem Regal zu nehmen und in mir zu blättern.“

[Interview] Im Stadtgespräch_Nora Gomringer

Foto: privat

Fußnotarin Natalie hat sich mit Autorin Nora Gomringer über ihre Bücher und ihre Erfahrungen im Poetry-Slam und im Ausland unterhalten.

BK: Sie schreiben schon seit längerer Zeit und haben auch schon einiges veröffentlicht. Ihr Metier ist die Lyrik. Was fasziniert Sie so sehr an dieser Gattung?

NG: Lyrik ist die älteste und effektivste Form von Literatur. Sie kann erzählen, singen, verstören und berühren. Was kann man mehr von Literatur fordern?

BK: Haben Sie denn auch ein Lieblingsgedicht?

NG: Oh, viiiiele! Aber die erste Ballade, die ich jemals auswendig gelernt habe, war die „Waldeinsamkeit“ von Heinrich Heine. Ich liebe sie sehr.

BK: Sie haben ja den Ingeborg-Bachmann-Preis dieses Jahr gewonnen. Wie war das für Sie?

NG: Die Teilnahme ist eine Nervensache, wobei das Lesen im Studio sehr angenehm war – auch die Jury-Runde. Unangenehm waren die restlichen Tage und die Preisverleihung. Ich habe das sehr angespannt und ungläubig erlebt und war irgendwann nur noch Statistin in meinem eigenen „Film“. Jetzt mit etwas Abstand kann ich sagen: Es war großartig und zum Glück hatte ich Verlag und Familie dabei.

BK: Beim Bachmannpreis werden Prosatexte und Textausschnitte bewertet. Sie schreiben aber meist lyrische Texte. Wieso jetzt die Teilnahme und das Wagnis an eine andere Gattung?

NG: Die Einladung zur Teilnahme am Wettbewerb war und ist eine Ehre. Zudem ein Ausdruck von Vertrauen und Inspiration. Sandra Kegel, meine einladende Jurorin, hatte mich 2000 in einer Bar in Reijkjavik als Dichterin auf der Bühne gesehen und rief an mit der Bitte in Klagenfurt mit mir erscheinen zu dürfen. Da hab ich mich drangesetzt. Über die letzten 15 Jahre schriftstellerischer Tätigkeit habe ich nicht wenige Prosa-Texte veröffentlicht. Es liegt also nicht soooo fern.

BK: Was macht Ihren Text „Recherche“ aus?

NG: Das müssten die Leserinnen und Leser beurteilen. Und ein Tipp sei der Literatur stets beigegeben: Laut lesen!

BK: Hat es Sie gereizt, Texte dieser Art zu schreiben und wird es in Zukunft noch mehr Geschichten von Ihnen geben?

NG: Immer wieder: Ja, solange mir etwas einfällt und das Schreiben zu bewältigen ist. Ich arbeite in zwei Jobs mit jeweils 100%. Das ist nicht leicht zu jonglieren, aber ich gebe mir Mühe und zahle den nötigen Preis dafür. Bis Ende 2015 werden sechs Bücher veröffentlicht sein. Drei davon ganz neu und drei Textsammlungen älterer, zum Teil bereits erschienener Texte. Das ist das Ergebnis zwei lebhafter Jahre seit 2013.

BK: Was motiviert Sie zum Schreiben?

NG: Aufträge durch andere oder von mir selbst formulierte. Auch das Reagieren auf Zeit, Atmosphäre, Stimmen und Stimmungen. Oft gehe ich in Vorlesungen über Themen, die mir zunächst fern sind. Das finde ich anregend – Neues Vokabular. Außerdem bin ich publikumsbezogen. Ich will nicht langweilen. Ich will arbeiten.

BK: Haben Sie einen Lieblingsort an dem Sie schreiben?

NG: An meinem Laptop, egal wo ich ihn an eine Steckdose anstecken kann. Ich nutze längere Zugstrecken sehr gerne.

BK: Als Dichter ist man mit seinen Gedanken immer am Werk und die Inspiration kann einen zu jeder Zeit packen. Hat man eigentlich noch genug Freizeit für sich selbst?

NG: Nein. Aber ich trenne mein Leben auch nicht in Arbeit und Freizeit. Ich habe das Glück zwei Berufe ausführen zu dürfen, für die ich Anerkennung erfahre und mich demenstprechend ganz an sie unterordne.

BK: Sie waren lange Zeit Poetry-Slammerin und auch sehr aktiv in der Szene. Wieso jetzt nicht mehr?

NG: Ich konnte Slam nur so lange machen, wie ich zeitlich frei war, keinen festen Beruf ausgeübt habe und was noch vorher kam: Die Nachfrage nach Lesungen von 50, 70 und 80 Minuten aus meinen eigenen Texten durch Veranstalter. So löste ich mich vom Slam und bin stolz, mich einst eine Slammerin genannt zu haben. Das ist harte Arbeit, die vor allem in Reisen besteht. Das Auftreten lernt man. Es macht einen furchtlos und es macht einem Lust auf viele verschiedene Bühnenformate. Ich trete nun fast nur noch mit Phlipp Scholz, Jazz-Drummer, im Duo „Peng! Du bist tot“ auf. Näheres findet ihr dazu auf meiner Seite.

BK: Hat der Poetry-Slam Ihr Schreiben beeinflusst?

NG: Sehr. Es ist ein ganzer Band („Sag doch mal was zur Nacht“) entstanden.

BK: Sie hatten auch so einige Auftritte. Welcher davon hat Sie am meisten geprägt?

NG: Im Schnitt sind es 180 im Jahr. In den Slam-Jahren waren es zum Teil weit über 200. Da gibt es Erinnerungsfunken an viele einzelne und vor allem an Gelegenheiten, bei denen man Kolleginnen und Kollegen zum ersten Mal begegnen durfte.

BK: Einen Teil Ihrer Schulzeit haben Sie im Ausland verbracht und auch sonst den ein oder anderen Ort für längere Zeit besucht. Inwieweit hat das Einfluss auf Ihr Schreiben?

NG: Erfahrungen addieren zum Leben. Ich versuche mein Schreiben nicht vom Leben abgetrennt zu betrachten. Also ist natürlich viel in meine Arbeit eingegangen. Viele Sprachen und auch viele Sprachbeobachtungen.

BK: Würden Sie auch selbst auf anderen Sprachen schreiben und publizieren?

NG: Das tue ich sogar. Ich bin auch in mehrere Sprachen übersetzt.

BK: Einer Ihrer letzten Gedichtbände behandelt das Thema Krankheit und den Körper allgemein. Wieso gerade diese Thematik?

NG: Aus den „Monster Poems“ hat sich die Frage nach den Ängsten der Menschen ergeben. Und die Ängste, die jeder mit sich ausmacht, sind die vor Krankheiten und Schwächen. Außerdem sind Krankheiten kulturhistorisch hoch interessant. „Durch Typhus“ ließen sich beide Weltkriege schildern, AIDS erzählt uns über die 80er und die Pest über das Mittelalter.

BK: Sie schreiben nicht nur über Krankheit, sondern auch über „Monster“. Wieso dieser leichte melancholische Hang zum Morbiden bzw. Erschreckenden?

NG: Weil mich das Abgründige beschäftigt und auch erheitert. Ich glaube, dass ich etwas Fatalistisches habe. Ich fühle mich auch dem jiddischem Humor sehr nahe.

BK: Im September erscheint Ihr neues Buch „Ich bin doch nicht hier, um sie zu amüsieren“ mit Ihrem Gewinnertext „Recherche“. Können Sie uns etwas zu Ihrem neuen Werk erzählen?

NG: Ist der Text wirklich da drin? Piper wird ihn auch drucken. Eventuell wird ein Film daraus und ein Hörspiel soll es auch geben. Es ist shön, dass so viele Medien damit arbeiten wollen. Im Band „Ich bin doch nicht hier, um sie zu amüsieren“ finden sich im Nachgang zu „Ich werde etwas mit der Sprache machen“ eine Auswahl der Reden, Artikel und Essays von den letzten 4 Jahren.

BK: Welche Werke haben Sie in Ihrer Kindheit inspiriert und tun es heute noch?

NG: Gedichte! William Cullen Bryant, Heinrich Heine, Mark Strand, Gomringer, Anne Sexton, Sylvia Plath, Ingeborg Bachmann… Märchentexte! Die Bibel! Tolle Filme! Fernsehserien!

BK: Zuletzt noch unsere Bücherstadt Kurier-Frage: Wenn Sie ein Buch oder auch Gedicht wären, welches wären Sie?

NG: Gerne wäre ich ein schmaler Band im Regal der wunderbaren Autorin Nina Jäckle und gerne wäre ich so schön und leicht, dass sie Freude daran hätte mich oft aus dem Regal zu nehmen und in mir zu blättern. Vielleicht würde sie mich auch mitnehmen auf ihre Reisen. Das könnte mir gefallen.

Dieses Interview erschien erstmals in der 18. Ausgabe des Bücherstadt Kuriers.
Foto © privat

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